Wer auf einmal einen nahen Angehörigen pflegen muss, steht vor vielen offenen Fragen. Eine, die sich vielen Berufstätigen stellt: Wie soll ich das kurzfristig alles unter einen Hut bringen?
Eine gute Nachricht in dieser häufig nicht ganz einfachen Situation: Für Beschäftigte gibt es mehrere Möglichkeiten, sich ganz oder zumindest teilweise von der Arbeit freistellen zu lassen. Mit der Familienpflegezeit geht letzteres sogar bis zu 24 Monate lang.
Was sind die Voraussetzungen für die Familienpflegezeit?
Voraussetzung ist zunächst, dass Beschäftigte einen nahen Angehörigen pflegen, der mindestens Pflegegrad 1 hat. Zu nahen Angehörigen zählen etwa Eltern, Ehepartner und Kinder.
Darüber hinaus muss die Pflege in der häuslichen Umgebung stattfinden, also in der Wohnung der pflegebedürftigen Person oder in der des pflegenden Angehörigen. «Eine Ausnahme gilt hier für minderjährige nahe Angehörige, sie können auch außer Haus gepflegt werden», sagt Annemarie Schoß vom Sozialverband VdK Deutschland in Berlin.
Alle, die Familienpflegezeit nehmen, müssen beschäftigt sein – und mindestens 15 Stunden pro Woche weiter in ihrem Beruf arbeiten. Zur Stundenzahl gibt es derzeit wegen der Corona-Pandemie allerdings eine Ausnahme bis zum 30. April 2023: Beschäftigte können die Mindestarbeitszeit für maximal einen Monat unterschreiten.
Wichtig zu wissen: «Der Arbeitgeber muss nur dann der Familienpflegezeit zustimmen, wenn der Betrieb mindestens 26 Beschäftigte hat», sagt Felizitas Bellendorf von der Verbraucherzentrale NRW.
Wie sieht es mit meiner Vergütung aus?
Während der Familienpflegezeit können Beschäftigte ein zinsloses Darlehen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben beantragen.
Das zinslose Darlehen wird monatlich gezahlt. Der Betrag ist maximal so hoch wie die Differenz zwischen dem Netto-Gehalt vor und während der Freistellung. Den maximalen Darlehensbetrag kann man mit dem Familienpflegezeit-Rechner des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben ermitteln. Das Darlehen muss nach der Freistellung wieder zurückgezahlt werden.
Wo beantrage ich Familienpflegezeit?
Einen Antrag in klassischer Form gibt es nicht. Stattdessen kündigen Beschäftigte ihrem Arbeitgeber die Familienpflegezeit an. Dabei müssen sie dem Arbeitgeber auch mitteilen, wie lange sie die Familienpflegezeit nehmen und wie sie währenddessen ihre Arbeitszeit gestalten wollen.
Wann muss man das machen?
Spätestens acht Wochen vor dem gewünschten Beginn der Familienpflegezeit müssen Beschäftigte ihrem Arbeitgeber diese ankündigen. «Auch dazu gibt es eine Ausnahme aufgrund der Corona-Pandemie», sagt Annemarie Schoß. Wenn die Familienpflegezeit spätestens am 1. April 2023 beginnt, beträgt die Frist mindestens zehn Arbeitstage vor dem gewünschten Beginn.
Wie trifft man gute Absprachen mit dem Arbeitgeber?
«Je früher man den Arbeitgeber informiert, desto besser», sagt Felizitas Bellendorf. Allerdings können pflegende Angehörige oft nicht weit im Voraus planen. Sie müssen dem Arbeitgeber schon mit der Ankündigung mitteilen, wie sie ihre Arbeitszeit während der Familienpflegezeit gestalten wollen. Dabei muss schriftlich festgelegt werden, um wie viel sich die Arbeitszeit verringert und wie diese verteilt wird.
«Der Arbeitgeber muss sich nach den Wünschen der Beschäftigten richten», so Annemarie Schoß. Eine Ausnahme: Dringende betriebliche Gründe sprechen dagegen.
Kann mein Arbeitgeber die Familienpflegezeit ablehnen?
Wenn die formalen Voraussetzungen erfüllt sind, der Betrieb also etwa mindestens 26 Angestellte hat, besteht ein Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit. Der Arbeitgeber kann dann nicht «Nein» sagen.
Arbeiten Sie in einem kleineren Betrieb, müssen Sie sich auf freiwilliger Basis mit Ihrem Arbeitgeber einigen. Die Verbraucherzentralen raten dann, sich frühzeitig mit dem Arbeitgeber zusammenzusetzen und nach einer möglichen Lösung zu suchen.
Was gibt es neben der Familienpflegezeit für Optionen?
Bei einer akuten Pflegesituation können pflegende Angehörige unter bestimmten Voraussetzungen eine kurzzeitige Arbeitsverhinderung in Anspruch nehmen. Sie können sich hierdurch für bis zu zehn Arbeitstage von der Arbeit freistellen lassen. «Darauf hat grundsätzlich jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin Anspruch», so Felizitas Bellendorf.
In diesen zehn Tagen können Angehörige ein Pflegeunterstützungsgeld von der Pflegekasse der zu betreuenden Person beziehen. Hier gibt es eine weitere Ausnahme bis zum 30. April 2023: Die Dauer kann 20 Arbeitstage betragen, allerdings muss es einen Zusammenhang mit der Corona-Pandemie geben.
Eine weitere Option: Eine Pflegezeit nehmen. Angehörige können sich dadurch bis zu sechs Monate vollständig oder teilweise von ihrer Arbeit freistellen lassen. Eine Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Pflegezeit ist, dass der Betrieb, in dem sie arbeiten, mehr als 15 Beschäftigte hat.
Übrigens, wer direkt im Anschluss an eine Pflegezeit eine Familienpflegezeit für denselben pflegebedürftigen Angehörigen nehmen möchte, ist verpflichtet, dies besonders früh anzukündigen. Und zwar mindestens drei Monate vor Beginn. Aufgrund der Corona-Pandemie gibt es hier noch bis 30. April 2023 die Ausnahme, dass die Familienpflegezeit unter bestimmten Voraussetzungen nicht direkt auf die Pflegezeit folgen muss. Dann reicht eine Ankündigung von mindestens zehn Tagen vor Beginn der Familienpflegezeit.
Zur Begleitung in der letzten Lebensphase der pflegebedürftigen Person haben Beschäftigte außerdem die Möglichkeit, sich bis zu drei Monate vollständig oder teilweise von der Arbeit freistellen zu lassen. Eine der Voraussetzungen ist auch hier eine Betriebsgröße von mehr als 15 Beschäftigten.
Sowohl für die Begleitung in der letzten Lebensphase wie auch für die Pflegezeit kann man – wie bei der Familienpflegezeit – ein zinsloses Darlehen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben beantragen.
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