Kopfhörer zum Aufsetzen oder ins Ohr stecken lagen auch in diesem Jahr unter vielen Weihnachtsbäumen. So angenehm es für Eltern sein mag, nicht mehr die hundertste Wiederholung des Lieblingshörspiels oder die Musikauswahl des Nachwuchses mithören zu müssen: Bei der Nutzung von Kopfhörern sollte bei Kindern auf Grenzen geachtet werden, um dauerhafte Hörschäden zu vermeiden, wie Experten warnen.
Kritisch könne es werden, wenn Kopfhörer sehr lange, sehr laut oder sehr oft genutzt würden, sagte Bernhard Junge-Hülsing vom Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte (HNO) der Deutschen Presse-Agentur. «Drei Stunden am Stück zum Beispiel sind nicht gut, die Ohren brauchen regelmäßige Lärmpausen.»
HNO-Ärzte warnen vor mangelhafter Hörentwicklung
Ein Dauergebrauch von Kopfhörern schon in sehr jungem Alter könne eine mangelhafte Hörentwicklung zur Folge haben, erklärte Junge-Hülsing, Landesvorsitzender des HNO-Berufsverbandes in Bayern. Beim normalem Hören im Raum müssen Kinder häufig andere Geräusche ausblenden – die nebenan laufende Spülmaschine oder den stundenlang telefonierenden Bruder zum Beispiel. «Mit Kopfhörern wird diese Ausblendung von Nebengeräuschen nicht erlernt.» Das Fokussieren auf eine Schallquelle sei aber wichtig, etwa in der Schule oder bei Gesprächen in einer größeren Gruppe. Bei Dauergebrauch von Kopfhörern könne dieses Filtern wichtiger Informationen aus einem Umfeld verschiedener Geräusche Kindern schwerer fallen.
Hinzu kommt: «Kinder hören sehr laut, wenn man sie lässt», so Junge-Hülsing. Für das Märchen beim Kleinkind gelte das weniger, wohl aber bei Musik, vor allem bei älteren Kindern. Beim Hören mit Kopfhörern komme dabei der weit kürzere Weg der Schallwellen von der Quelle zum Trommelfell zum Tragen. «Bei einem jüngeren Kind können es bei In-Ear-Kopfhörern nur noch ein bis zwei Zentimeter sein.» Damit falle der dämpfende Effekt der Luft weitgehend weg.
Härchen im Innenohr können ihre Funktion verlieren
Hinter dem Trommelfell entstehe beim Hören eine Art Wasserwelle, die über tausende Haarzellen streiche, erklärte der HNO-Mediziner. «Je lauter ein Ton, desto mehr Kraft steckt hinter der Welle.» So wie bei einem Getreidefeld leichte Windböen keinen Schaden anrichten, heftige Windstöße aber Halme abknicken lassen, können einzelne Härchen im Innenohr bei einer starken Welle der Flüssigkeit dauerhaft umgeknickt bleiben und damit ihre Funktion verlieren. «Was da kaputt geht, bleibt kaputt, die Härchen wachsen nicht nach.» Die Ausfälle summierten sich im Laufe des Lebens und könnten schließlich zu Schwerhörigkeit führen – je früher dieser Prozess beginne, desto mehr Schaden könne letztlich entstehen.
Ein zusätzliches Problem bei den im Ohr getragenen Stöpseln sei, dass sie den Ohrenschmalz nach innen schöben und verdichteten. Das kann das Hörvermögen beeinträchtigen und regelmäßige Ohrreinigungen beim HNO-Arzt nötig machen, wie Junge-Hülsing sagte.
Viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene hörten täglich mehrere Stunden Musik in einer Lautstärke, die den weltweit empfohlenen Gesundheitsgrenzwert von 70 Dezibel durchschnittlicher Freizeitlärmbelastung pro Tag und Jahr überschreite, hatten Forscher vor einiger Zeit bei der Tagung der Acoustical Society of America berichtet. Nach Daten der Gesundheitsbehörde CDC aus dem Jahr 2017 leide in den USA inzwischen etwa ein Viertel der 20- bis 69-Jährigen an einem lärmbedingten Hörverlust. Es drohe eine lärmbedingte Schwerhörigkeitsepidemie, wenn die heutigen jungen Generationen die Lebensmitte erreichten, warnten Daniel Fink von der Organisation The Quiet Coalition und der Hörspezialist Jan Mayes.
Gehörschäden durch zu laute Musik
Rund 1,1 Milliarden junge Menschen riskieren nach Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Schäden, weil sie zu oft zu laut Musik hören. Wenn die ärztliche Versorgung nicht verbessert werde, könnten bis 2050 fast 2,5 Milliarden Menschen – jeder vierte Erdenbürger – mit einer Höreinschränkung leben, schätzt die WHO wegen der wachsenden Weltbevölkerung und der steigenden Lebenserwartung.
Der Begriff Altersschwerhörigkeit sei dabei irreführend, sagte Junge-Hülsing. «Eigentlich muss es Umweltschwerhörigkeit heißen.» Bei Naturvölkern, die nicht unter dem ständigen Einfluss von Lärm stünden, gebe es kaum Schwerhörigkeit im Alter. Für Betroffene seien die potenziellen Folgen gravierend: Vereinsamung, ein höheres Sturzrisiko und eine im Mittel etwa vier Jahre früher einsetzende Demenz zählten dazu. «Wer schon früh Hörschäden hatte, ist im Alter gefährdeter.»
Wichtig sei, bei Hörproblemen direkt Hilfen wie ein Hörgerät anzunehmen. Die Technik sei heute so gut, dass auch das gezielte Richtungshören und damit ein Gespräch mit einem Einzelnen in einer Gruppe sich unterhaltender Menschen möglich sei.
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