Ungefähr zehn Sekunden dauert es, dann kommen die Schmerzen. Extreme Schmerzen. Die Kälte bohrt sich in die Haut, der Körper schaltet auf Überlebenskampf. Eisschwimmer ziehen dennoch scheinbar ungerührt ihre Bahnen – in Wasser, das unter fünf Grad kalt ist.
Die Aktiven sehen sich keinesfalls als Eisbadende, die sich meist aus gesundheitlichen Gründen in winterliche Gewässer wagen. Für manche Eisschwimmer ist es gar ein Leistungssport: Ende dieser Woche finden in Polen die Weltmeisterschaften statt. Allein vom oberbayerischen Verein Serwus Burghausen reisen 13 Athletinnen und Athleten an.
Gute Technik und vor allem mentale Stärke
Einer von ihnen ist Tobias Wybierek. Der 28-Jährige kommt vom Leistungsschwimmen im Becken. Die Glücksgefühle, von denen viele Eisschwimmer schwärmen, sind für ihn Nebensache, er will gewinnen. Dieser Leistungsgedanke lässt ihn auch die Schmerzen ertragen. Außerdem: «Am Anfang tut es noch weh, aber wenn man mit der Saison mitgeht, geht auch der Schmerz runter. Man gewöhnt sich dran.»
Seine Teamkollegin Julia Wittig, mehrfache Weltmeisterin unter anderem 2017 in der offenen Klasse, widerspricht. «Ich spüre das jedes Mal. Man kommt psychisch mit der Kälte besser klar, aber dass es saumäßig weh tut, ist schon so, vor allem an den Extremitäten.» Sechsmal die Woche steigt die 42 Jahre alte Grundschullehrerin ins Eiswasser. «Es gibt Tage, wenn man wenig geschlafen hat, total gestresst ist, dann ist das kaum auszuhalten.»
Warum macht sie es dann, noch dazu seit vielen Jahren? «Ich mag diese Macht der Kälte», erklärt Wittig. «Wenn die Kälte auf den Körper einwirkt, kannst du mit den Gedanken nirgendwo anders sein. Wenn du irgendwelche Probleme oder Schwierigkeiten hast, die sind alle ausgeblendet.» Außerdem mache es sie glücklich und stolz, sich der Herausforderung gestellt und die inneren Widerstände überwunden zu haben. Eisschwimmen erfordere als Extremsport nicht nur eine saubere Technik, sondern vor allem auch mentale Stärke.
Der Körper ist zu mehr in der Lage als man denkt
«Das sind oft Menschen, die ihre Grenzen kennenlernen wollen. Und Menschen wie du und ich, die das als sportliche Herausforderung ansehen», charakterisiert Oliver Halder, Vorstandsmitglied beim Deutschen Eisschwimmverein Keep Frozen, die Szene. «Von den Geschäftsführern angefangen, die sonst gewohnt sind auszuteilen und jetzt mal einstecken müssen, bis hin zu gelangweilten Hausfrauen.»
Halder schätzt, dass deutschlandweit gut 150 Eisschwimmer in etwa einer Hand voll Vereinen und Interessensgemeinschaften organisiert sind. Bei den Wettkämpfen ist die 1000-Meter-Strecke die längste, die Aktiven seien da bis zu 30 Minuten unterwegs. «Das ist schon krass. Aber man sieht daran auch, dass der Körper viel mehr in der Lage ist durchzuhalten, als man sich vorstellen kann», sagt Halder, der im baden-württembergischen Winnenden trainiert.
Allerdings reagieren manche Menschen nicht nur mit Taubheitsgefühlen und Schmerzen, sondern auch mit Schockstarre, Schnappatmung, Kreislaufproblemen oder gar Herzstillstand auf die Kälte. Hanns-Christian Gunga, Professor für Weltraummedizin und Extreme Umwelten an der Berliner Charité, warnt wegen der Möglichkeit eines lebensbedrohlichen Kälteschocks eindringlich davor, dass Unerfahrene im Eiswasser gleich ihre Grenzen austesten. «Wenn man das machen will, soll man sich langsam rantasten, soll man Erfahrungen sammeln, soll man das mit Erfahrenen zusammen machen.»
Eisschwimmen ist kein Halligali – sonder Leistungssport
Zwar ist die Kälte laut Gunga durchaus ein gutes Training für die Gefäßmuskulatur der Haut, die sich als Überlebensschutz schlagartig zusammenziehe. «Aber ich würde prinzipiell vom Eisbaden abraten, wenn man unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, insbesondere Gefäßerkrankungen oder Herzrhythmusstörungen, leidet.» Auch wem schon beim Abkühlen nach der Sauna schwindelig werde, habe im Eiswasser nichts verloren.
Zumal Eisbaden oder -schwimmen nicht nur im Wasser, sondern auch danach an Land gefährlich ist. Gerade bei Menschen, die sich länger aktiv im kalten Wasser bewegen, kühlen laut Gunga nicht nur die oberen Zentimeter der Körperschale, sondern der Körperkern aus. Wer jetzt beim Aufwärmen einen Fehler macht, sich etwa in eine Sauna setzt, begibt sich in Todesgefahr. «Beim Afterdrop läuft das warme Blut aus dem Kern mit 36 Grad wie ein Kühlapparat durch die Haut mit null Grad, wird dann auf 33, 30, 27 Grad abgekühlt, und es kommt zu Herzflimmern und Rhythmusstörungen», erläutert Gunga.
Stefan Hetzer, der Trainer von Serwus Burghausen, macht Neulingen deshalb unmissverständlich klar: «Das hier ist kein Halligalli, Sicherheit ist die Nummer eins.» Derweil zittern sich Wybierek und Wittig nach ihrem Training in der einzigen festinstallierten, genormten Wettkampfanlage der Welt in einer Infrarotkabine warm. Fünf Minuten haben sie höchstens, um mit ungelenken Bewegungen in die Umkleidekabine zu laufen und ihre Kleidung anzuziehen. «Danach zitter ich so, dass ich in keinen Pulli mehr reinkomme», erzählt Wybierek zähneklappernd. Auch dies ein nützlicher, aber oft schmerzhafter Überlebensmechanismus des Körpers.
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