31. Oktober 2024

HEALTH News

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Vitaminpräparate: «teurer Urin» oder sogar schädlich?

Etwa jeder Dritte nimmt regelmäßig Vitamine in Pulver- oder Pillenform ein. In der Corona-Pandemie ist der Absatz solcher Produkte gestiegen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Fernando Gutierrez-Juarez/dpa-Zentralbild/dpa)

Sie sollen das Immunsystem unterstützen oder die Knochen stärken, manche Hersteller versprechen sogar Schutz vor Corona oder Heilung von Krebs: Vitaminpräparate erleben Marktstudien zufolge einen Boom.

Seit Beginn der Pandemie greifen immer mehr Menschen zu solchen Produkten. Nicht immer ist das nur Geldverschwendung – es kann auch gefährlich werden.

Ein Drittel der Bevölkerung nimmt mindestens einmal pro Woche Vitamine als Nahrungsergänzungsmittel ein, wie eine repräsentative Befragung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) zeigt. Jeder oder jede Sechste nimmt sogar täglich Pillen oder Pulver mit Vitaminen.

Für die meisten Menschen verzichtbar

Dabei ist das meist völlig unnötig: «Bei einer ausgewogenen und abwechslungsreichen Ernährung erhält der Körper fast alle Vitamine in ausreichenden Mengen. Nahrungsergänzungsmittel sind für die meisten Menschen verzichtbar», sagt BfR-Präsident Andreas Hensel. «Wer hoch dosierte Vitamine einnimmt, ohne dass es nötig ist, riskiert eine Überversorgung und damit unerwünschte Auswirkungen auf die Gesundheit.»

Verunreinigungen und Wechselwirkungen mit Medikamenten

Im besten Fall produziere man durch die unnötige Einnahme von Vitaminen «teuren Urin», sagt Ernährungswissenschaftlerin Wiebke Franz von der Verbraucherzentrale Hessen. Im schlimmsten Fall schade man seiner Gesundheit. Die Behörden prüfen Nahrungsergänzungsmittel – beispielsweise Vitaminpräparate – nicht wie Arzneimittel auf ihre Sicherheit und Qualität, bevor sie auf den Markt kommen. So kommt es bei diesen Pillen und Pulvern immer wieder zu Verunreinigungen.

Im Auge haben müsse man auch mögliche Wechselwirkungen mit Medikamenten: Betacarotin, eine Vorstufe zu Vitamin A, könne bei Rauchern das Lungenkrebsrisiko erhöhen. Auch eine Überdosierung sei «nicht unbedenklich», sagt Franz. Zu viel Vitamin D könne etwa zu Kopfschmerzen, Übelkeit und Nierenverkalkung führen. Sehr lange zu hohe Einnahme von Vitamin C könne zu Blasen- und Nierensteinen führen.

Mögliche Überdosierung

Manchmal werde eine Überdosierung auch gar nicht erkannt, erklärt Franz: Denn zu den Pillen und Pulvern kommen noch die Mengen, die wir natürlich über die Nahrung zu uns nehmen oder die in mit Vitaminen angereicherten herkömmlichen Nahrungsmitteln stecken. Dass dafür keine Höchstmengen definiert sind, kritisieren Verbraucherschützer seit Jahren.

«Deutschland ist kein Vitaminmangelland. Die überwiegende Zahl der Menschen ist hierzulande mit Vitaminen ausreichend versorgt», betont die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Nur in Ausnahmefällen wird die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln empfohlen, beispielsweise in der Schwangerschaft, nach einer Chemotherapie, bei sehr alten Menschen oder bei ausschließlich veganer Ernährung.

Doch der Markt boomt: Allein in Apotheken haben die Kunden 2020 knapp 2,3 Milliarden Euro für Nahrungsergänzungsmittel ausgegeben, wie das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen IQVIA berechnet hat. Mehr als die Hälfte davon entfiel auf Mineralstoffe und Vitamine. 2020 wurden davon elf Prozent mehr verkauft als 2019. Den höchsten Zuwachs verbuchten mit plus 12 Prozent Immunstimulanzien. Auch weitere Vitaminkategorien wie etwa Kombinationen aus Vitamin A und D oder Vitamin-C-Kombinationsprodukte sind zweistellig gewachsen.

Kein nachgewiesener Infektionsschutz

«Dass einige Nahrungsergänzungsmittel wie etwa Produkte aus Kombinationen der Vitamine A und D oder auch Vitamin C 2020 einen Boom erfuhren, dürfte mit der Covid-19-Pandemie zusammenhängen», sagt Thomas Heil, Vice President Consumer Health bei IQVIA. «Verbraucher versprachen sich durch die Einnahme der Präparate einen gewissen Infektionsschutz.»

Fachleute winken ab: Es seien «keine Studien bekannt, die belegen, dass die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten vor einer Infektion mit diesem Virus bzw. vor der Auslösung der Erkrankung schützt», heißt es beim Bundesinstitut für Risikobewertung. «Bei Personen mit adäquatem Vitamin-D-Status ist bisher nicht nachgewiesen, dass die Einnahme eines Vitamin-D-Präparates einen diesbezüglichen Zusatznutzen hat», sagt das Robert Koch-Institut.

Als vermeintliche Wundermittel angepriesen

Wiebke Franz von der Verbraucherzentrale Hessen warnt davor, den Gesundheits- und Heilversprechen der Hersteller und Vertreiber Glauben zu schenken. Vor allem im Internet und Direktvertrieb würden Vitamine als vermeintliche Wundermittel angepriesen. «Die Anbieter versprechen eine gesundheitliche Wirkung oder sogar Heilung – damit täuschen sie den Verbraucher.»

Ein großes Problem sei das Marketing über Social-Media-Kanäle, sagt Christiane Seidel, Referentin Team Lebensmittel beim Verbraucherzentrale Bundesverband. Dort würden oft unzulässige Gesundheitsversprechen gemacht – bis hin zu «hilft gegen Krebs». Anbieter dürfen aber nur versprechen, was das Produkt auch hält: «Vitamine können zur normalen Körperfunktion beitragen. Nahrungsergänzungsmittel dienen nicht der Behandlung von Erkrankungen», sagt Seidel.

Vitaminpräparate seien «ein superlukratives Geschäft». Dem Direktvertrieb im Internet sei schwer beizukommen. Die illegale Werbung laufe oft über Influencer, die die Produkte gegen Provision bewerben oder weiterverkaufen. Viele Firmen sitzen im Ausland, es gibt oft kein Impressum, die Seiten poppen nur für kurze Zeit auf, «das ist ein Riesenproblem für die Rechtsdurchsetzung». Seit Corona haben solche Geschäfte laut den Verbraucherzentralen enorm zugenommen.

Ob mit dem Abebben der Pandemie auch der Vitamin-Boom abebbt, bleibt abzuwarten. Neueste Daten des Marktforschungsinstituts IQVIA zeigen, dass sich die Entwicklung 2021 nur teilweise fortgesetzt hat: Der Umsatz mit Vitamin-A+D-Präparaten aus der Apotheke stieg demnach weiter um knapp 17 Prozent. Allerdings habe es auch rückläufige Entwicklungen gegeben, etwa bei reinen Vitamin-C-Produkten.

Von Sandra Trauner, dpa