Sie huschen nach Feierabend in den Supermarkt, legen Ihre Waren auf das Kassenband – und merken dann: Huch, die Person hinter mir atmet mir regelrecht in den Nacken. Und zwar ohne Maske über Mund und Nase.
Situationen wie diese erleben viele Menschen in diesen Tagen. Denn: Nicht alle fühlen sich mit dem Wegfall der Maskenpflicht wohl – aus Sorge, sich so möglicherweise mit dem Coronavirus anzustecken.
Aushalten oder Abstand einfordern? Das ist dann die große Frage. Der Sozialpsychologe und Konfliktforscher Prof. Ulrich Wagner von der Philipps-Universität Marburg verrät im Interview, wie man in solchen Momenten am besten kommuniziert – und warum man Endlos-Diskussionen am besten vermeidet.
Was macht Situationen wie diese für uns überhaupt so schwierig?
Ulrich Wagner: Das ist eine Situation, die ohnehin ein bisschen aufgeheizt ist. Man steht vor der Kasse relativ eng in der Schlange. Das ist auch unabhängig von Corona nicht so richtig spaßig.
Dann kommen oft Emotionen ins Spiel. Man denkt vielleicht: Der oder die ohne Maske hinter mir bedrängt mich jetzt wirklich. Dann ist die Gefahr groß, dass eine solche Situation ein wenig eskaliert. Man regt sich vielleicht auf, wählt den falschen Ton.
Das Problem in dieser Situation ist auch, dass wir eigentlich keine Regel mehr haben. Mit dem Wegfall der Maskenpflicht ist es ja nicht verboten, ohne Maske so eng beieinanderzustehen. Am Ende macht das die Kommunikation so schwierig: Denn im Grunde haben beide Seiten Recht und Unrecht gleichzeitig.
Eine Möglichkeit ist, das Thema anzusprechen – und die Person um etwas mehr Abstand zu bitten. Wie stellt man das am besten an?
Wagner: Ich empfehle eine Kommunikation auf der Sachebene. Heißt: Die Person sachlich zu bitten, ein wenig Abstand zu halten – ganz ohne Vorwürfe wie «Können Sie denn nicht aufpassen?»
Wenn die andere Person dann nicht auf Abstand gehen will oder kann, empfehle ich, selbst aus dem Feld zu gehen. Denn: Die Diskussion darüber, wer Recht oder Unrecht hat, führt zu nichts.
Solange es die Maskenpflicht gab, hatte man schließlich einen guten Grund, darauf zu bestehen, dass die andere Person die Maske aufsetzt oder Abstand hält. Das ist nun anders.
Wenn man das Thema anspricht – ist es ratsam, die eigene Position mit Argumenten und Rechtfertigungen zu untermauern?
Wagner: In solch einer Situation würde ich das nicht empfehlen, weil dann oft auch die Gegenseite in die Argumentation einsteigt: «Aber wir dürfen das doch jetzt mit dem Wegfall der Maskenpflicht.»
Besser, man kommuniziert: «Ich möchte nicht, dass Sie so nah stehen.» Punkt. Dann bekommt man vielleicht eine ironische Bemerkung ab. Damit muss man dann leben.
Am besten geht man gar nicht darauf ein, sondern stellt einfach den Abstand her, den man selber möchte. Und besteht darauf, dass man an dieser Stelle ein Selbstbestimmungsrecht hat.
So eine Situation im Supermarkt ist ein vergleichsweise kleiner Konflikt, könnte man sagen. Schließlich ist man nach fünf Minuten aus dem Geschäft raus – und muss die Person in aller Regel nicht wieder sehen. Sollte man dem überhaupt so viel Gewicht geben?
Wagner: Das stimmt, bei Licht betrachtet ist es eine kleine Situation. Der kann man gut ausweichen und man sollte sie nicht überbetonen.
Es bringt am Ende nichts, sich lange darüber aufzuregen, dass die andere Person andere Vorstellungen von Abstand hat als man selbst.
Auch Menschen, die das Tragen von Masken jetzt ablehnen, muss man Toleranz entgegenbringen. Andere Menschen sehen die Welt eben anders und mit dem Wegfall der Maskenpflicht ist das legitim geworden. Damit müssen wir uns alle arrangieren.
Zur Person: Ulrich Wagner ist Professor für Sozialpsychologie und Konfliktforschung im Ruhestand an der Philipps-Universität Marburg. In seiner Forschung beschäftigt er sich insbesondere mit Konflikten zwischen Gruppen und der Prävention von Aggression und Gewalt.
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