29. November 2024

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Kalorienangaben: Vom Tauziehen um die Speisekarte

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) prüft, ob Kalorien-Angaben in Speisekarten in Deutschland möglich und sinnvoll sind. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Michael Kappeler/dpa)

Wer ins Restaurant geht, möchte sich verwöhnen lassen – oder einfach schnell satt werden. Doch wollen sich Gäste bei der Auswahl von Fisch, Fleisch oder Nudeln Gedanken machen über den Kaloriengehalt?

Haben sie Lust, Energiewerte auf der Speisekarte zu studieren und sich gegen Kalorienbomben zu entscheiden? In England glaubt die Regierung, dass Kalorien-Angaben auf der Karte im Kampf gegen das grassierende Übergewicht helfen. Seit April müssen größere Ketten dort diese Zahlen im Menü ausweisen. In Deutschland gibt es diese Pflicht nicht. Aber Berlin prüft, ob sie Sinn macht. Die Gegner der Kalorien-Listen im Lokal protestieren schon im Vorfeld.

Ernährung ist wesentlich komplexer

Das reine Kalorienzählen werde von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen als Methode zum Fördern der gesunden Ernährung schon «seit Jahrzehnten als Humbug abgetan», warnt etwa die als Köchin bekannt gewordene Sarah Wiener (59). «Ich habe das Gefühl, bei derartigen Vorschlägen wird immer noch so getan, als wären Menschen Otto-Motoren: Kraftstoff rein, Energie raus. Ernährung ist aber wesentlich komplexer», sagt die Unternehmerin und österreichische Grünen-Abgeordnete im Europäischen Parlament.

Mit anderen Worten: Wem und wofür hilft es bei der Auswahl auf der Speisekarte zu lesen, dass mancher Salat kalorienmäßig schwerer wiegt als einige Pasta-Gerichte?

«Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) prüft derzeit, ob eine verpflichtende Angabe der Kalorien in der Außer-Haus-Verpflegung möglich und sinnvoll ist», erläutert eine Sprecherin des Ministeriums mit Blick auf das britische Modell. Dazu müssten die rechtliche Umsetzbarkeit ebenso untersucht werden wie die praktischen Aspekte für Verbraucher und Unternehmen. «Eine Bewertung kann deswegen zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgen.»

Kalorien-Angaben Pflicht für den Handel

Anders als im Lokal sind in Deutschland die Pflichten für den Handel bereits eingeführt: Essen in Fertigverpackungen wird im Laden mit Kalorien-Angaben ausgezeichnet. Egal ob Chips, Quark oder Marmelade, auf der Ware stehen meist klein gedruckt die Nährwertangaben. Diese Pflicht ist Teil der Lebensmittelinformationsverordnung der Europäischen Union (EU).

Die Verbraucher sollen damit die Chance haben, bewusst auszuwählen. Das wiederum soll helfen, Übergewicht, Adipositas (Fettleibigkeit) und andere Krankheiten wie Diabetes in der Gesellschaft zurückzudrängen. Dieses Argument spielte auch in England bei neuen Speisekarten-Regel eine Rolle.

Problem Übergewicht

In Deutschland stufen Fachleute rund zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen als übergewichtig ein. Zugleich sind Kalorien-Angaben in Lokalen bisher freiwillig – und selten. Einige Ketten nennen sie zum Beispiel in ihren Internet-Auftritten. Verbraucher können sich damit vor dem Besuch schlau machen: Ein «Big Mac» von McDonald’s hat rund 500 Kilokalorien, wie man dort lesen kann.

In einem Block-House-Restaurant kommt ein «Mr. Rumpsteak» ohne Beilagen demnach auf etwa 350 Kilokalorien. Für Erwachsene gilt, stark vereinfacht, ein Bedarf um die 2000 Kilokalorien am Tag als Regel.

«Wir stellen unseren Gästen die Allergene und Nährwerte der Block-House-Gerichte seit gut zehn Jahren zur Verfügung», berichtet Markus Gutendorff, Vorstand der Block House Restaurantbetriebe AG, zu den Internet-Infos. «Tatsächlich haben wir in den Block-House-Restaurants kaum Anfragen zu den Energie- und Nährwerten unserer Gerichte.» Wobei eine Sprecherin erläutert, dass die Webseiten der Steakhaus-Kette aus Hamburg gut genutzt würden.

Freiwillige Netz-Infos sind das eine – ein gesetzlicher Zwang zu Energiewerten auf Karten wäre aus Sicht des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) der falsche Weg. «Der Dehoga spricht sich deutlich gegen die verpflichtende Angabe von Kalorien auf Speisekarten in heimischen Restaurants aus», stellt Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes, klar. «Das neue Gesetz ist in Großbritannien umstritten – und das nicht ohne Grund.»

Zählen von Kalorien reicht nicht

Für sie ist das Konzept kein geeignetes Mittel im Kampf gegen Übergewicht. «Das alleinige Zählen von Kalorien ersetzt keine ausgewogene gesunde Ernährung und Bewegung», führt Hartges aus. Sie verweist auf Erfahrungen im Handel: «Es ist bekannt, dass Kunden im Supermarkt trotz der Angaben zu Lebensmitteln greifen, die besonders hohe Kalorien aufweisen.» Zudem führt der Verband die Mehrarbeit für Lokale an: «In unserer Branche geht es um Genuss.

Man stelle sich den bürokratischen Aufwand für die Betriebe vor mit zum Teil täglich wechselnden Angeboten, die für jedes Gericht die Kalorien für die einzelnen Zutaten in der jeweiligen Menge berechnen müssten.»

Ähnlich argumentiert Antje Gahl, Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Bonn: «Kalorien-Angaben auf Speisekarten stehen aus unserer Sicht nicht im Fokus, wenn es um gesunde Ernährung geht.» Das Zählen der Energiewerte könne wichtig sein, wenn stark übergewichtige Menschen im Rahmen einer Therapie gezielt Kalorien reduzieren müssten.

Aber im Alltag, auch beim Restaurantbesuch, zähle ein viel breiteres Verständnis, etwas Gesundes zu essen: Es gehe um Genuss, Geschmack, Qualität, Frische, Vielfalt, Ausgewogenheit, Freude beim Essen in angenehmer Atmosphäre.

In ausgewählten Bereichen sei das Kochen mit der Kalorientabelle umsetzbar – aber nicht überall. «Denn dazu müsste nach exakten Rezepturen immer genau gekocht werden.» In kleineren Restaurants und in der gehobenen Gastronomie könnte so die Kreativität von Köchin oder Koch leiden, sagt die Ernährungsfachfrau. «Er kann dann seine Rezepte nicht nach Gefühl verfeinern, etwa mit Sahne oder einem Schuss Alkohol, weil sich dann der Kaloriengehalt ändert.»

Wie Kalorienangaben zustandekommen

Welchen Brennwert hat ein Apfel? Wer das im Internet recherchiert, bekommt eine präzise Antwort: 52 Kilokalorien pro 100 Gramm. Schokoriegel? 556 Kilokalorien pro 100 Gramm. Aber wie entstehen solche Werte?

Grundsätzlich lässt sich der Energiegehalt von Lebensmitteln mit einem speziellen Verfahren bestimmen – genutzt werden dabei sogenannte Bombenkalorimeter. Das sind Behälter mit einer Brenn- und einer umgebenden Wasserkammer. Darin verbrennt man das zu untersuchende Lebensmittel vollständig und unter Sauerstoffüberdruck. Der sogenannte physikalische Brennwert lässt sich aus dem Temperaturanstieg des Wassers ableiten.

In der Nährwerttabelle auf der Verpackung von Lebensmitteln ist allerdings nicht der physikalische, sondern der sogenannte physiologische Brennwert angegeben. Denn anders als im Labor kann nicht jeder Stoff im menschlichen Körper komplett verbrannt werden. Da aber die physiologischen Werte zum Beispiel für Fett, Eiweiß und Kohlenhydrate bekannt sind, lässt sich der physiologische Brennwert von Lebensmitteln – abhängig von ihrer Zusammensetzung – berechnen. So dürften aus Expertensicht heutzutage die meisten Kalorienangaben auf Lebensmitteln zustande kommen.

«Es handelt sich bei Kalorienangaben in aller Regel um Durchschnittswerte, die nur der groben Orientierung dienen können», sagte Ernährungswissenschaftlerin Esther Schnur von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Der tatsächliche Wert, den etwa ein Apfel aufweise, könne natürlichen Schwankungen unterliegen und durch verschiedene Faktoren beeinflusst sein: zum Beispiel vom Nährstoffgehalt des Bodens, auf dem der Apfelbaum stand, oder von der Apfelsorte. Oder ob die Frucht an der Nord- oder Südseite des Baumes gewachsen ist. Noch schwieriger würden Kalorienangaben bei veränderlichen Rezepturen, etwa in Restaurants.

Von Petra Kaminsky, dpa