30. November 2024

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Was es mit dem «B» in LGBTQ auf sich hat

Julia Shaw: «Bi - Vielfältige Liebe entdecken». (Urheber/Quelle/Verbreiter: --/Hanser Verlag/dpa)

Teenager Nick, der scheinbar selbstsichere Rugby-Star und Mädchenschwarm der Schule, findet sowohl Keira Knightley als auch Orlando Bloom im Piratenfilm «Fluch der Karibik» gut.

Und dass er Gefühle für den schüchternen Charlie entwickelt, der neben ihn in der Klasse gesetzt wurde, verwirrt den 16-Jährigen noch mehr. Die Netflix-Serie «Heartstopper» zeigt feinfühlig Nicks Identitätsfindung und erwachende Liebe für den offen schwulen Charlie.

In den letzten Wochen sensibilisierte die britische Serie weltweit ein Millionenpublikum für die Gefühlslage von Menschen, die sowohl hetero- als auch homosexuell fühlen, die romantisch oder sexuell eine Anziehung zu mehr als einem Geschlecht empfinden können.

Bisexualität komme oft zu kurz im gesellschaftlichen Diskurs, legt auch das neue Sachbuch «Bi – Vielfältige Liebe entdecken» (Hanser-Verlag) dar. Dessen Autorin, die Rechtspsychologin Julia Shaw, sagt: «Bisexualität ist kein Trend.» Das Konzept dieser Neigung gebe es schon seit Ende des 19. Jahrhunderts. Aus der Zoologie gebe es auch die Erkenntnis, dass viele Tiere bisexuelles Verhalten zeigten, kurz: «dass Bisexualität die Norm ist».

Auf dem Weg zum «richtigen Coming-out»?

«In der Psychologie finde ich interessant, wie viele Menschen, die sich als heterosexuell beschreiben, bisexuelle Erfahrungen haben», sagt Shaw (35), die in Köln geboren wurde, in Kanada aufwuchs und in London als Wissenschaftlerin und Autorin lebt («Das trügerische Gedächtnis – Wie unser Gehirn Erinnerungen fälscht», «Böse: Die Psychologie unserer Abgründe»).

Doch das «B» etwa bei der Abkürzung LGBT oder LGBTIQ wird zwar gerade jetzt im sogenannten Pride-Monat Juni oft mitgesagt, aber selten richtig mitgedacht. Die gesellschaftliche Debatte über Bisexualität hinke der Akzeptanz von Homosexualität etwa 30 Jahre hinterher, meint Shaw. So sei ihr «Bi»-Buch das erste populärwissenschaftliche Sachbuch bei einem Bestseller-Verlag zu diesem Thema. Viele Menschen hätten eine Art Angst vor Fluidität, meint Shaw. Es werde sich hinter einseitigen Identitäten verschanzt. Als bisexuelle Frau habe sie sich oft gefragt, wo sie überhaupt hingehöre. Sie habe deshalb nun das Buch geschrieben, was ihr als «Atlas der Bi-Welt» gefehlt habe.

Leider sei auch die queere Community für «Bi’s» nicht unbedingt ein sicherer Hafen («Safe Space»/Schutzraum, wie es heute oft heißt). Während Heteros Bisexuellen mit einer Art «Hypersexualisierung» begegneten – nach dem Motto: «Du kannst wohl nicht treu sein und willst es mit jedem treiben» – reagierten Lesben und Schwule oft ablehnend, weil sie Bisexuelle als unehrlich oder mutlos betrachteten, wohl noch auf dem Weg zum «richtigen Coming-out».

«Bisexualität muss ernst genommen werden»

Die Folge: Es gibt wohl mehr Menschen, die sich zu mehr als einem Geschlecht hingezogen fühlen als «hundertprozentige» Lesben und Schwule. Die meisten Bisexuellen sprechen aber nicht darüber – weder in der Beziehung noch in der Familie noch im Freundeskreis und schon gar nicht am Arbeitsplatz. Bisexuelle versteckten ihre Orientierung doppelt so häufig wie Homosexuelle, zitiert Shaw Studien.

Laut Shaw wird oft missverstanden, dass das «Bi» (von lateinisch «bi-» für «zwei») für Männer und Frauen steht. Das sei aber die falsche Binarität. «Es geht seit der Begriffsgründung um Menschen, die sowohl homosexuell als auch heterosexuell sind.»

Vom flapsigen deutschen Spruch «Ein bisschen bi schadet nie» hält Shaw eher wenig. «Das ist oberflächlich positiv, da Akzeptanz natürlich der notwendige erste Schritt für eine «bi-inklusive» Gesellschaft ist», sagt sie der Deutschen Presse-Agentur. «Aber wenn wir uns den Spruch genauer anschauen, meint er, dass viele Menschen in homosexuellen Situationen «nur spielen», sie aber «in echt» heterosexuell sind.» Ein solcher Spruch untergrabe bisexuelle Identitäten. «Bisexualität muss ernst genommen werden, wie inzwischen Homosexualität meistens auch ernst genommen wird.»

Vielfältige Liebe feiern

Die Netflix-Produktion «Heartstopper» findet Shaw dagegen hilfreich: «Solche Serien sind ganz wichtig, um Bisexualität sichtbar zu machen. In der Serie wird der bisexuelle Junge Nick sogar in den Bi-Pride-Farben – Pink, Lila, Blau – in dem Moment beleuchtet, in dem er sich selber seine Gefühle für seinen Freund Charlie eingesteht.» Die Coming-of-Age-Geschichte zeige damit, dass diese Gefühle euphorisieren können. «Sie zu akzeptieren – statt sie zu verdrängen – ist ein gesunder Aspekt des Lebens.» Vielfältige Liebe gelte es zu feiern – «und zwar so, wie wir andere Liebeserfahrungen auch feiern».

Der Monat Juni ist im Bewusstsein vieler Leute inzwischen der Pride Month. Für Menschen, die sich der LGBTIQ-Community zugehörig fühlen, ist er eine wichtige Zeit: Denn dann wird oft verstärkt auf Missstände für Lesben, Schwule (G wie Gays), Bisexuelle, Transgender, Intersexuelle und Queere hingewiesen. Seinen Ursprung hat der «Monat des Stolzes» in New York. Ende Juni 1969 stürmten Polizisten in Manhattan die Bar «Stonewall Inn» in der Christopher Street. Sie lösten damit einen Aufstand von Schwulen, Lesben und Trans* gegen Willkür aus, weswegen bis heute viele Paraden und Partys auch im deutschsprachigen Raum Christopher Street Day heißen.

Literatur:

Julia Shaw: «Bi – Vielfältige Liebe entdecken», 304 S., 25,00 Euro (Österreich 25,70), Hanser Verlag, ISBN 978-3-446-27293-4

Von Gregor Tholl, dpa