Kleine Tierbabys dicht am Körper der Mutter getragen. Oder fellige Bündel, die sich beim Schlafen eng aneinander kuscheln – in der Tierwelt ist die körperliche Nähe oft Überlebensprogramm.
Auch Menschen seien letztlich nesthockende Säugetiere und Alleinsein mache sie krank. Das sagt Prof. Martin Grunwald, der das Haptik-Forschungslabor der Universität Leipzig leitet. Haptik, das ist die wissenschaftliche Lehre über das Tastsinnessystem des Menschen.
«Gerade wenn wir schlafen, wollen wir uns möglichst geschützt fühlen», sagt Martin Grunwald. Und: «Das Gefühl dieses Geschütztseins wird wahrscheinlich auch durch Druckreize transportiert.»
Eine Decke voller Kügelchen
Hier kommen Gewichtsdecken – auch als Therapiedecken bezeichnet – ins Spiel. Herstellerabhängig sind in ihnen kleine Kügelchen zum Beispiel aus Glas oder Kunststoff eingearbeitet. Das macht sie deutlich schwerer als normale Bettdecken. Somit üben sie einen Druckreiz auf unseren Körper aus.
Und das kann sich richtig gut anfühlen. «Gewichtsdecken vermitteln vielen Menschen offensichtlich ein Gefühl von Geborgenheit und Nicht-Alleinsein», sagt Martin Grunwald.
Allerdings gilt das nicht für alle. Was einigen angenehm ist, können andere nämlich gar nicht vertragen. «Das ist wie bei Berührungsreizen generell. Die einen mögen es, viel und gerne berührt zu werden, andere weniger. Die individuelle Spannbreite ist sehr groß.»
Die Schwere tut der Psyche gut
Wer aber eine Gewichtsdecke grundsätzlich als angenehm empfinde, dem könne sie durchaus guttun. So gibt es laut Martin Grunwald Studien zur Wirkung von Gewichtsdecken bei Betroffenen von chronischen Angsterkrankungen: «Die Menschen schlafen besser und haben weniger Angstgedanken.»
Autismus, ADHS, Demenz, Depressionen: Bei all dem sollen Gewichtsdecken Abhilfe schaffen können. Und die Liste lässt sich noch weiterführen.
«Die ADHS- und Autismus-Szene arbeitet schon sehr lange mit Gewichtsdecken und -westen», sagt Martin Grunwald. Grundsätzlich sollte man aber pauschalen Versprechungen kritisch gegenüberstehen.
Probleme beim nächtlichen Umdrehen
Der Schlafmediziner Prof. Ingo Fietze ist jedenfalls mehr als skeptisch, wenn für eine generell bessere Schlafqualität durch Gewichtsdecken geworben wird.
«Jeder Mensch dreht sich im Schlaf 5- bis 25-mal», sagt Fietze, der das Interdisziplinäre Schlafmedizinische Zentrum an der Berliner Charité leitet. «Sensible und schlechte Schläfer werden dabei mit einer Gewichtsdecke jedes Mal wach.»
Für erholsamen Schlaf ist aber wichtig, dass man sich hin- und herdrehen kann, ohne wach zu werden. «Die Körperrotation unter der Decke muss noch möglich sein», sagt auch Haptik-Professor Grunwald.
Auch ein Helfer für tagsüber
Allerdings muss man gar nicht unbedingt nachts unter die Gewichtsdecke schlüpfen. Sie eignet sich ebenso für den Mittagsschlaf. Auch wer sich gemütlich mit einem Buch aufs Sofa legt, kann vom Gewicht auf sich profitieren, sagt Grunwald.
Denn die Studien zu Gewichtsdecken stützen sich auf ein Drunterliegen von nur rund zehn Minuten. «Die Entspannung ist physiologisch messbar», sagt Grunwald. Und sie stellt sich schnell ein.
Zehn Prozent des Körpergewichts
Wer nun mit einer Gewichtsdecke liebäugelt, fragt sich vielleicht: Wie schwer sollte sie sein? Es gibt sie in unterschiedlichen Gewichtsklassen – von drei Kilogramm bis deutlich über zehn.
«Vor allem in der Nacht sollte man die Regel einhalten, dass die Decke nicht schwerer ist als zehn Prozent des eigenen Körpergewichts», sagt Laborleiter Grunwald.
Das gilt auch für Kinder. Bezüglich des Alters, ab dem Gewichtsdecken überhaupt zum Einsatz kommen, sollten Eltern unbedingt auf die Herstellerangaben achten.
Grundsätzlich kann jeder und jede selbst ausprobieren, ob er oder sie gut Gewichtsdecken klarkommt. Menschen mit Gelenkproblemen allerdings könnten in bestimmten Positionen eventuell nachts Probleme bekommen.
DIY-Varianten bringen es nicht
«Erlaubt ist, was gefällt, jeder kann seine eigene Schlafumgebung bestimmen», sagt Schlafmediziner Ingo Fietze. Entscheidend sei, morgens erholt aufzuwachen. «Meine Message ist aber: Nicht zu viel Geld ausgeben nur aufgrund von Versprechungen.»
Denn die Decken kosten oft mehr als 100 Euro. Die Krankenkassen zahlen sie in der Regel nicht. Die günstigere Lösung, als DIY-Variante selbst ein paar Decken obendrauf zu packen, ist wenig sinnvoll. «Dann ist es zwar schwer, aber Sie schwitzen sich die Seele aus dem Leib», warnt Martin Grunwald.
Wer überlegt, sich eine Gewichtsdecke anzuschaffen, dem rät Haptik-Professor Grunwald, bei Herstellern nach Testsets oder Rückgabe- und Umtauschmöglichkeiten zu fragen. Denn erst im Alltag zeigt sich, ob solch eine schwere Decke tatsächlich guttut – oder ob das schwere Bettzeug zur Last wird.
Literatur:
Martin Grunwald: Homo Hapticus. Warum wir ohne Tastsinn nicht leben könnten. Droemer Knaur 2017. Taschenbuch: 12,99 Euro, ISBN-13: 978-3-426302453, Gebundene Ausgabe: 19,99 Euro, ISBN-13: 978-3-426277065.
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