Mal durchschlafen können – das ist für Jeanette Ott etwas Besonderes. Im Familienalltag kommt die Erholung meist zu kurz, denn ihre 17 Jahre alte Tochter Catherine muss rund um die Uhr gepflegt werden. Als Gast im Kinderhospiz Bärenherz kann Jeanette Ott nun durchschlafen, neue Kraft tanken.
Mit ihrem Mann und dem jüngsten Sohn ist sie für eine Woche zu einem sogenannten Entlastungsaufenthalt in der Wiesbadener Einrichtung. In dieser Zeit wird Catherine in der Pflegestation von Bärenherz-Mitarbeiterinnen betreut.
Einrichtungen helfen bei der Entlastung von Familien
Die meisten stationären Aufenthalte im Bärenherz dienten der Entlastung der Familien, die ihre kranken Kinder ansonsten ambulant zuhause pflegten, erklärt der Leiter Michael Knoll. Das könnte in einer kritischen Phase nötig sein oder als eine Art Pflege-Auszeit für die Eltern. «Im Alltag kommt die Elternrolle oft zu kurz, man ist die Pflegekraft des Kindes», erklärt Knoll. Wenn im Hospiz die Pflege von anderen übernommen werde, dann «kann man einfach mal Mama und fürs Kuscheln zuständig sein».
Am 10. Februar ist «Tag der Kinderhospizarbeit», der 2006 vom Deutschen Kinderhospizverein ins Leben gerufen wurde. Das Bärenherz gehört zu den ältesten Kinderhospizen in Deutschland. Seit 2002 gibt es die Einrichtung.
Seitdem habe sich viel getan, etwa in der inhaltlichen Ausrichtung, sagt Knoll. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten immer mehr dazugelernt, wie sie Kinder, Eltern und Geschwister gut begleiten können. Seit rund zehn Jahren gehört die Betreuung der Geschwister fest zum Bärenherz-Programm.
Besondere Bedürfnisse schwerstkranker Kinder
Das Wiesbadener Kinderhospiz wächst im Moment – es entsteht ein Erweiterungsbau, um Gäste im Jugendalter besser betreuen zu können. «Die Kinder und Gäste, die wir begleiten, werden immer älter», sagt Knoll. Dies bedeute auch für die Pflege eine größere Herausforderung, da die Patienten größer und schwerer würden.
Die Pflege schwerstkranker Kinder sei eine sehr spezielle Aufgabe, betont Knoll. Im Unterschied zur Arbeit im Erwachsenenhospiz spielten Eltern und Geschwister eine viel größere Rolle, manchmal bräuchten auch Tanten, Onkel oder Freunde psycho-soziale Unterstützung.
Catherine Ott kam mit dem Down-Syndrom zur Welt, musste schon am zweiten Lebenstag operiert werden. Bei einem weiteren Eingriff wurde die Luftröhre verletzt, wie Jeanette Ott erzählt. Es folgten viele weitere Klinikaufenthalte. «Die Ärzte haben gesagt, sie wird nur drei Jahre alt», sagt die Mutter. Catherine ist auf den Rollstuhl angewiesen, muss permanent mit Sauerstoff versorgt werden und bekommt hochdosiert Schmerzmedikamente.
Die 17-Jährige hat zehn Geschwister – im Alter zwischen 35 und 15 Jahren. Neulich habe die Großfamilie einen gemeinsamen Ausflug in einen Freizeitpark gemacht, erzählt Jeanette Ott. «Es war ein toller Tag, und Cathi hat das sehr genossen.» Wenn der Alltag mal besonders schwierig ist, dann stützten sie sich gegenseitig. «Manchmal nimmt Cathi meine Hand und sagt: «Nicht schlimm, schaffen wir»», erzählt die Mutter, die ebenfalls auf einen Rollstuhl angewiesen ist.
Unterstützung von Familien in allen Phasen
«Wir sind ab der Diagnose für die Familien da», sagt Daniela Eisenbarth, Leiterin des ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes von Bärenherz. «Das ist eher eine Lebensbegleitung als eine Sterbebegleitung.» Rund 90 Prozent der Kinder mit lebensverkürzenden Krankheiten seien von Geburt an beeinträchtigt, rund zehn Prozent von einer anderen Erkrankung wie etwa Krebs oder Unfallfolgen betroffen.
Die Familien würden in allen Phasen unterstützt, beispielsweise wenn weitere Geschwister auf die Welt kämen, erzählt Eisenbarth. Nicht wenige Kinder würden bis ins junge Erwachsenenalter begleitet.
Derzeit betreut Bärenherz rund 200 Familien aus ganz Deutschland. Dabei gehe es unter anderem darum, die Zeiträume für Entlastungsaufenthalte zu koordinieren, sagt Knoll. Zusätzlich gebe es Notfallbetten bei akuten Krisen, wenn zuhause plötzlich der Pflegedienst wegbricht oder ein Kind palliativ betreut werden muss.
Der ambulante Dienst vom Bärenherz-Hospiz hilft aktuell rund 45 Familien im Alltag, von denen einige mehrere schwerstkranke Kinder haben. Es gehe auch um Aufklärungsarbeit, denn viele schreckten vor dem Begriff «Hospiz» zurück, sagt Eisenbarth. «Aber dies ist kein Ort des Sterbens, wir sind ein Ort des Lebens.»
Trauerbegleitung Teil des Angebotes
Wenn ein Kind verstirbt, werde der Familie eine Trauerbegleitung angeboten. Das könne neben der psycho-sozialen Hilfe auch bedeuten, der Familie formale Aufgaben wie etwa die Organisation der Bestattung abzunehmen – falls das gewünscht wird, sagt Eisenbarth.
Einmal im Jahr veranstaltet Bärenherz einen Erinnerungstag, bei dem die Familien der verstorbenen Kinder gedenken. Für die Mitarbeiter gebe es Angebote, um psychisch gesund zu bleiben, erklärt Eisenbarth. «Es geht darum, mitzufühlen ohne mitzuleiden.» Bei all der Nähe, die bei der Begleitung eines sterbendes Kindes entstehe, sei es wichtig, auch auf sich selbst zu achten.
Beim letzten Lebensabschnitt gehe es bei der palliativen Betreuung vor allem um Schmerz- und Angstfreiheit für Patienten, erklärt Knoll. «Und wir sorgen für Entschleunigung.» Den Eltern werde der Raum und die Zeit gegeben, sich von ihrem Kind zu verabschieden. Es gehe darum, die Zeit zwischen dem Tod und der Bestattung inhaltlich zu füllen und damit den Familien ein Stück weit das Gefühl der Ohnmacht zu nehmen.
Dabei hätten sich Rituale als hilfreich erwiesen, sagt Knoll. Das könne etwa die Waschung sein oder eine gemeinsame Sargbemalung. Wichtig sei dabei, den Eltern nichts abzunehmen, was bei der Bewältigung der Trauer hilfreich sein könnte, betont Knoll. Wenn ein Kind im Haus verstirbt, wird es mit einer Abschiedszeremonie verabschiedet. Je nach Konfession und Wunsch der Familie können etwa Gebete gesprochen werden oder es wird gesungen.
Der Bedarf an Plätzen ist gut abgedeckt
Bundesweit gibt es nach Daten des Deutschen Kinderhospizvereins 19 stationäre Kinderhospize und rund 170 ambulante Dienste. Damit sei der Bedarf an stationären Angeboten recht gut abgedeckt, sagt der Geschäftsführer Marcel Globisch. Dies liege auch daran, dass die Einrichtungen stark überregional arbeiteten. Ein «Riesenproblem» sei derzeit der Mangel an qualifizierten Pflegekräften, um alle Betten betreiben zu können.
Viele Kinder und Jugendlichen würden in den Häusern intensivmedizinisch betreut, erläuterte Globisch. Daher müssten die Pfleger und Pflegerinnen ein großes Fachwissen haben. Der Deutsche Kinderhospizverein wurde 1990 von betroffenen Eltern gegründet, um Familien von schwerst erkrankten Kindern ein Forum für den gegenseitigen Austausch zu geben.
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