21. November 2024

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«Der Schwarm»: Mensch und Meer im Clinch ums Überleben

Der Bestsellerautor Frank Schätzing zeigt die Hörbuch-Ausgabe seines Romans «Der Schwarm» (2004). (Urheber/Quelle/Verbreiter: Volker Dornberger/dpa)

Wale, die wie wild Menschen angreifen, um sie zu töten. Würmer, die Tsunamis auslösen. Hummer und andere Schalentiere, die der Menschheit wahlweise Seuchen bringen oder sie überrennen wollen. In Frank Schätzings großem Bestseller «Der Schwarm» scheint es, als räche sich die Tiefsee am Menschen, der ihren Lebensraum mit all seinem Müll und CO2 zunichte macht.

Fast zwei Jahrzehnte ist es bereits her, dass der Kölner Buchautor damit einen Welterfolg landete und Millionen Leserinnen und Leser in den Bann der Ozeane zog. «Der Schwarm» wurde 2003 auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt, ehe er im Frühjahr 2004 erschien. Nun erlebt er gleich ein doppeltes Comeback, das in diesen Krisenzeiten aktueller nicht sein könnte: Am Donnerstag ist eine limitierte Sonderausgabe im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen, die den Thriller um Bonusmaterial wie ein aktuelles Essay des Autors ergänzt. In wenigen Tagen folgt die Ausstrahlung der mehr als 40 Millionen Euro teuren Verfilmung: Das ZDF zeigt die achtteilige Serie «Der Schwarm» ab dem 22. Februar nach und nach zunächst in der Mediathek, dann auch im linearen Fernsehen.

Unbekanntes Universum

Die Jubiläumsausgabe und die internationale Fernsehproduktion richten damit neuerlich ein Schlaglicht auf einen Raum, über den weniger bekannt sein soll als über das Weltall: die Tiefsee. Schätzing machte sich dieses unbekannte Universum zunutze, um in ihm eine fiktive Katastrophe heraufzubeschwören. Sie fußte auf naturwissenschaftlichem Fachwissen, das er sich in einer akribischen Recherche angeeignet hatte. Herausgekommen ist ein Welterfolg, der in 27 Sprachen übersetzt wurde und sich international sechs Millionen Mal verkaufte.

Von Wissenschaftsseite wird dem Autor saubere Arbeit bescheinigt. «Jedes einzelne Element des Buchs von Herrn Schätzing ist real und wissenschaftlich korrekt», sagt Mikrobiologin Ute Hentschel-Humeida vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, das in dem Roman selbst zur tapferen Armada der Wissenschaftsgemeinde zählt. Auch wenn Würmer nicht wirklich Tsunamis auslösen könnten, seien Naturgefahren aus dem Meer wie diese Riesenwellen durchaus real.

Das mache letztlich auch die Faszination für die Weltmeere aus, sagt die Meeresbiologin. «Es ist die Ambivalenz des Ozeans, die dieses Ökosystem so spannend macht. Es ist gleichermaßen ein Sehnsuchtsort, aber mit seiner Tiefe, Kälte und dem Unbekannten auch beängstigend.»

Worum geht es im «Schwarm» noch gleich? Richtig: In den Weltmeeren passieren seltsame Dinge, vor den Küsten Perus und Kanadas wie in Norwegen, den USA und anderswo. Überall scheint sich das Meer gegen die Menschheit aufzulehnen. Aber kann das sein? Schlägt die Natur, angewidert von den Untaten der Menschen, jetzt hemmungslos zurück?

Mysteriöse Schwarmintelligenz

Fiktive Wissenschaftler rätseln, ob das Ganze mit der Erwärmung des Erdklimas zusammenhängen könnte. Die CIA wittert – natürlich – Terrorismus. Der namenlose US-Präsident, der nicht ganz zufällig stark an George W. Bush erinnert, meint: «Ich persönlich glaube nicht an das Märchen von der ausgeflippten Natur. Wir sind im Krieg.»

Einer der zentralen Helden des Romans, der norwegische Biologe Sigur Johanson, gelangt schließlich zu der Erkenntnis: «Wir erleben keine Naturkatastrophe. Ebenso wenig haben wir es mit terroristischen Vereinigungen oder Schurkenstaaten zu tun.» Stattdessen sieht er sich einer mysteriösen Schwarmintelligenz aus den Meerestiefen gegenüber. Zum großen Showdown kommt es letztlich nach knapp 1000 Seiten Lektüre am «Rand einer fernen Galaxis» – auf dem Meeresgrund vor Grönland.

Das schrieb Frank Schätzing vor gut 20 Jahren. Man kann den «Schwarm» als Wissenschaftsroman, Science Fiction, Horror oder wie sein Verlag als «frühe Parabel auf den Klimawandel» beschreiben – nur bitte nicht als «Öko-Thriller», wie Schätzing betont. Die Welt ist jedenfalls seitdem eine andere geworden: Damals starrte man nicht durchweg auf sein Smartphone, sondern gelegentlich auch einfach einmal aus dem Fenster. Der Klimawandel war zwar längst bekannt, aber bei Weitem nicht so präsent und allgegenwärtig wie heute. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatte man mehr Angst vor islamistischen Terroristen als vor unsichtbaren CO2-Emissionen. Oder wie es Schätzing nun formuliert: «Global Warming lief unter Nischenkrise.»

Heute ist das anders. Die grundlegende Bedeutung der Ozeane für das Weltklima ist wohlbekannt, und die Klimakrise äußert sich immer häufiger und heftiger in Katastrophen wie dem Hochwasser im Ahrtal 2021, in ebenso tödlichen Hitzewellen wie Waldbränden. Viele Menschen haben sich dazu entschlossen, aus Klimaschutzgründen weniger zu fliegen, weniger Fleisch zu essen und weniger Müll zu erzeugen. Nachhaltigkeit ist in Mode gekommen, und das ist zum Wohle des Planeten – sofern es kein pures Greenwashing ist – auch gut so.

Ökosystem Meer

«Der Schwarm» ist somit nach fast zwei Jahrzehnten keineswegs aus der Zeit gefallen. Die Meere werden vom Menschen heute weiterhin bis aufs Äußerste gereizt. Die Klimakrise mit steigenden Temperaturen, der CO2-Ausstoß, die Versauerung, Vermüllung und Überfischung der Meere, aber auch Lärm und militärische Munition: All das wirke sich negativ auf das Ökosystem Meer aus, sagt Meeresbiologin Hentschel-Humeida.

Schätzing fragt sich, wie «Der Schwarm» wohl aussehen würde, würde er ihn erst heute schreiben? «Ein Schwarm 2.0 ohne Fridays for Future und ihre Pendants – undenkbar!», schreibt er. Auch ohne Akteure aus der aufstrebenden Weltmacht China und Hinweis auf die Macht der Konzerne ginge er 2023 an der Realität vorbei. «Schriebe ich den Schwarm heute, er wäre mehr denn je Metapher, sosehr ich auch insistierte, er sei Unterhaltung», sinniert der Schriftsteller.

Eine Frage, die er schon damals aufwarf, ist mit Blick auf Pandemie, Klimakrise und Ukraine-Krieg brandaktuell: Wie will die Menschheit eigentlich auf dem Planeten Erde leben, ohne ihn zu zerstören und sich damit letztlich selbst abzuschaffen? «Fakt ist, nach uns wird es weitergehen, so oder so», ist sich Schätzing sicher. «Wir können die Welt nicht zerstören. Wir können nur unsere Welt zerstören.»

Von Steffen Trumpf, dpa