21. November 2024

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Skin Picking betrifft Haut und Psyche

Einen Pickel ausdrücken - das machen viele Menschen. Wird das Bearbeiten der Haut aber zur zwanghaften Gewohnheit, stecken möglicherweise psychische Belastungen dahinter. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christin Klose/dpa-tmn)

Wenn in der Pubertät Pickel und Mitesser sprießen, kann kaum jemand die Finger davon lassen. Und auch viele Erwachsene kratzen so lange, bis eine verkrustete Wunde wieder blutet oder der Mückenstich suppt.

Doch selbst ohne solche «Anlässe» empfinden einige Menschen den Drang, immer wieder die Haut zu bearbeiten – und können ihm nicht widerstehen. Dann ist von einer Skin Picking Disorder die Rede. Der Dermatologe Steffen Gass aus Günzburg beobachtet, dass eher Frauen davon betroffen sind.

Mehr als ein dermatologisches Problem

Was Betroffene durch das Knibbeln und Drücken verursachen können, ist unübersehbar. «So etwas hinterlässt Narben, klar», sagt Gass, der auch Referent für Psychosomatische Dermatologie des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen (BVDD) ist. Und wenn man mit nicht ganz sauberen Händen die Haut bearbeitet, «kann das auch schwere Infektionen hervorrufen, weil Keime mit hineingequetscht werden».

Vor allem im Gesicht sind die Narben dann zu sehen. Das setzt die Betroffenen unter Druck. Sie kratzen und drücken noch mehr – ein Teufelskreis. Und viel mehr als ein rein dermatologisches Problem. «Im Endeffekt ist es häufig ein Anzeichen für eine psychische Störung», sagt Steffen Gass.

Wobei diese vielfältig und unterschiedlich stark sein kann: Sowohl Angstzustände oder schwere Depressionen können dahinterstecken, aber auch eine aktuelle Anspannung. «Die arbeitet man dann praktisch an der Haut ab, was sich schließlich mit einem schmerzhaften Ereignis löst.» Grundsätzlich betroffen seien Bereiche des Körpers, die mit den Händen gut erreichbar seien, das Gesicht, aber auch Unterarme oder Unterschenkel.

Der Ursache auf den Grund gehen

Die Patientinnen und Patienten, die dann eine Hautarztpraxis aufsuchen, sagen jedoch oft nicht, dass sie psychische Schwierigkeiten haben: «Sie zeigen ihre Haut. Und dann ist es an den Ärzten zu erkennen, dass es keine gewachsene Dermatose ist», sagt Gass. Also keine Hauterkrankung, sondern etwas, was der Patient oder die Patientin selbst produziert hat.

Wichtig sei, dass die Ärztinnen und Ärzte sensibel vorgingen, die Betroffenen ernst nähmen und ein Vertrauensverhältnis aufbauten. Gegen akute Entzündungen können Medikamente und Salben verschrieben werden. Noch entscheidender ist jedoch, der Ursache für das Skin Picking auf den Grund zu gehen. Und den Zusammenhang zwischen Stress, psychischer Belastung und Knibbeln zu erkennen.

Denn es gibt Alternativen zum Knibbeln in Stresssituationen. Das kann autogenes Training sein. Oder man bearbeitet mit den Fingern andere Gegenstände, um Druck abzubauen – zum Beispiel Qigong-Kugeln, Knet- oder Reisbälle.

Den Betroffenen aufzuzeigen, dass sich ihre Haut immer weiter verschlechtert oder Narben entstehen, hilft nicht, um sie vom Quetschen und Kratzen abzuhalten. «Das wissen die Patienten selbst, das braucht man ihnen gar nicht zu sagen, weil sie es sehen», sagt Steffen Gass.

Eine Störung in der Selbstwahrnehmung

Verharmlosen sollte man eine Skin Picking Disorder nicht. «Das Phänomen erscheint Außenstehenden auf den ersten Blick vielleicht nur unangenehm. Aber es kann durchaus sein, dass es bei einigen Betroffenen dramatische Auswirkungen hat», sagt der Psychologe Prof. Martin Grunwald.

Der Gründer und Leiter des Haptik-Labors an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig plant dazu eine gemeinsame Studie mit der Helios-Klinik in Leipzig. Sie wollen unter anderem herausfinden, warum manche Menschen schon minimale Veränderungen im Gesicht extrem stark erleben.

Und auch, warum Menschen ganz unterschiedlich auf einen Pickel reagieren. Denn die einen sagen sich: «Der geht wieder weg, ich muss mich nicht darum kümmern.» Andere meinen: «Der verunstaltet mich, vielleicht verschwindet er schneller, indem ich ein bisschen herumdrücke und Salbe auftrage.»

Und dann gibt es noch diejenigen, die der Überzeugung sind: «Da ist ein riesiger Krater in meinem Gesicht. Das sehen alle, den muss ich unbedingt entfernen!» Bei diesen Menschen setzt dann eine regelrechte Panik ein. «Die Signale, die ins Gehirn gehen, sind bei allen Menschen mehr oder weniger gleich – aber was das Gehirn daraus macht, das ist der entscheidende Punkt», sagt Martin Grunwald.

Er vermutet, dass eine Skin Picking Disorder eine Ausprägung einer sogenannten körperdysmorphen Störung sein könnte. «Das heißt, wir haben es hier mit einem wahrnehmungspsychologischen Problem zu tun: die eigene Körperwahrnehmung ist gestört.» Martin Grunwald geht davon aus, dass der Grund, warum Betroffene ihre Haut nicht einfach in Ruhe lassen können, Fehlwahrnehmungen sind, die das Gehirn produziert.

Der Psychologe rät, schon die ersten Anzeichen ernst zu nehmen. Wer selbst bemerkt, dass er in akuten Stress-Situationen knibbelt oder drückt, sollte es zunächst mit einem Entspannungstraining versuchen. Wer feststellt, dass dieses Verhalten besonders häufig vorkommt und sich nicht stoppen lässt, sollte eine Psychotherapeutin oder einen Psychotherapeuten aufsuchen, die oder der mit dem Thema Erfahrung hat.

Literatur:

Martin Grunwald: «Homo Hapticus. Warum wir ohne Tastsinn nicht leben können», (2017) Droemer HC , 304 Seiten. 19,99 Euro. ISBN-13: 978-3426277065

Von Katja Sponholz, dpa