Zunächst einmal eine kurze Definition: Spitznamen sind inoffizielle Namen, die in keinem Pass verzeichnet sind. Als Kosenamen wiederum bezeichnet man positive Spitznamen, negative Spitznamen nennen Forschende Spottnamen. Und dann gibt es noch Intimnamen, die nun wirklich kein anderer Mensch hören soll. «Sie entfalten ihre Kraft im Miteinander», fasst Namensforscherin Inga Siegfried-Schupp zusammen.
Trotzdem gelangt das eine oder andere sonst zärtlich gehauchte «Muschi», «Baby» und «Honigschnecke» an die Öffentlichkeit. «Das kann verletzend sein», sagt Professorin Damaris Nübling. «Ein Kosename kann sehr intim sein, wenn der öffentlich wird, steckt Sprengstoff drin», erklärt die Sprachwissenschaftlerin vom Deutschen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
«Liebling» als Platzhalter
Wie entstehen Kosenamen überhaupt? Manchmal aus einer Situation heraus, erklärt Inga Siegfried-Schupp: «Es gibt eine Art Verlaufskurve der Kosenamen.» Da werden Ausdrücke mal mehr mal weniger häufig verwendet, andere werden zu einem zweiten Rufnamen. «Man begegnet allem», sagt Damaris Nübling, die seit Jahren auf diesem Gebiet forscht. Schon allein deshalb könne es weder den einzig wahren noch einen guten oder prototypischen Kosenamen geben.
Kosenamen entstehen nicht nur situativ, sie können auch je nach Situation variieren. «Gerade in Paarbeziehung dürfte die größte Vielfalt herrschen», sagt Nübling. Wer auf offener Straße nicht das Intimste preisgeben will, benutzt dann «Liebling» oder «Schatz» als eine Art Platzhalter.
Liebevolles Streicheln
Auch Gruppen wie der Freundeskreis, die Familie oder der Sportverein definieren durch Kose- oder Spitznamen, die sie selbst erfinden und benutzen, die Beziehung zur benannten Person. «Die Person kann sich kaum dagegen wehren», sagt Nübling. Meist muss man sich damit arrangieren, will man nicht den Freundeskreis oder die Beziehung riskieren.
Manchmal werden Spitznamen zu Spottnamen. «Aber das ist dann häufig nicht liebevoll gemeint», erklärt Inga Siegfried-Schupp. «Ein echter Kosename sollte streicheln und von der anderen Seite auch so wahrgenommen werden», sagt die Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft für Namenforschung.
Was nicht heißt, dass der Kosename unbedingt lieblich sein muss und immer auf einem «i» endet – siehe Mausi und Bärchi. «Es können durchaus auch mal Spinne oder Kröte dabei sein, oder Namen ironisch verwendet werden, das zeigt, dass die Beziehung belastbar ist», sagt Damaris Nübling. Wichtig sei, dass das Gegenüber wisse, wie es gemeint ist.
Dein Dich liebender Pupsi
Was Kosenamen nicht tun, ist eine Person eindeutig in der Welt zu bezeichnen, zu identifizieren. Der Beweis: Haben Sie schon mal im Supermarkt «Schatz» gerufen?
Dennoch festigt sich eine Gruppe – sei es ein Paar oder der Freundeskreis – durch die Verwendung des speziellen Namens. Nicht alle dürfen daran teilhaben, man grenzt sich also ab. «Wir kämen ja nicht auf die Idee, den Kosenamen, den wir gehört haben, auch für die Person zu verwenden», sagt Nübling. Und wenn wir es doch tun, kann das vehement zurückgewiesen werden.
Professorin Eva Lia Wyss hat die Verwendung von Kosenamen in Liebesbriefen erforscht. Hier werden sie vor allem in der Anrede verwendet, häufig versehen mit einem Possessivpronomen, also «mein Großer», «mein Kleiner». Nur selten wird der Kosename zur Unterzeichnung des Briefes genutzt. «Das ändert sich aber im Laufe der Zeit und ist heute üblicher», sagt die Gründerin des Liebesbriefe-Archivs in Koblenz.
Neben Metaphern aus der Tierwelt von Maus über Hase bis Einhorn oder Betthäschen sind in Briefen auch Erdbeere, Sweety, Puppe, Zuckerpuppe oder soziale Rollen wie Prinzessin, Zwerg, Fee, Rumpelstilzchen, Zorro, Tarzan und Romeo gefragt. Dazu kommen Wyss zufolge Wortneuschöpfungen oder Babysprache – Pupsi, Bubu, Susu oder Schnupperl lassen grüßen.
Seit den 70er-Jahren erhalten übrigens auch Männer erotischere Kosenamen, hat Wyss herausgefunden. Vorher waren es meist eher Spitz- oder Burschenschaftsnamen und Klassiker wie «mein Mann».
Geschlecht bekannt und irrelevant
Überhaupt das Geschlecht. Das spielt in Kosenamen kaum eine Rolle, wie Damaris Nübling erforscht hat – im Gegensatz zu klassischen Vornamen. Hier gibt es Klangmuster, die wir intuitiv anwenden, um auch fremde Namen einschätzen zu können: Frauennamen haben mehr Silben und werden seltener auf der ersten Silbe betont, sie enden häufig auf a oder e.
Männernamen dagegen haben mehr Konsonanten. Wird daraus ein Spitzname, werden die Endungen überschrieben und die Namen ähnlicher, das Geschlecht oft unidentifizierbar: Aus Christian und Christiane werden Chris oder Chrissie, aus Alexander und Alexandra wird Alex, aus Ulrich und Ulrike Uli.
Und genau so funktioniert es auch bei Kosenamen vom Typ «Schatzi». «Soziologen konnten meine Ergebnisse bestätigen», berichtet Damaris Nübling. «Als Paar weiß man, welches Geschlecht der Partner oder die Partnerin hat, das ist für die Beziehung irrelevant, es stört regelrecht.»
So wie sich Paare etwa im Kleidungsstil anpassen – Stichwort Funktionsjacke – wird auch das Geschlecht heruntergefahren, soll die Beziehung stabil überdauern. «Vielleicht formt man sich damit auch den Partner oder die Partnerin so wie man ihn oder sie gerne hätte», sagt Nübling.
Mehr Nachrichten
Stress im Schulalltag: Wie kann ich meinem Kind helfen?
Kinderhochstühle im Test: Nur drei Modelle sind «gut»
Kinderhochstühle im Test: Nur drei Modelle sind «gut»