Ständig im Erklärmodus: Eltern kennen das. Doch es gibt Dinge, die sich dem Nachwuchs gar nicht so leicht vermitteln lassen. Zum Beispiel, wenn jemand in der Familie eine psychische Erkrankung hat. Geht es um einen gebrochenen Arm, finden sich meist leichter Worte, als wenn es um eine Depression geht, eine Angststörung oder eine posttraumatische Belastungsstörung.
«Viele Erwachsene scheuen sich davor», sagt die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Anja Lorenz. Denn leider gilt für solche Gespräche: «Es gibt hier nicht die Standard-Regel: „So wird es gemacht“.» Was aber helfen kann: eine gute Portion Fantasie. Zwei Psychotherapeutinnen geben Tipps.
Kinder haben feine Antennen
Dass es der Mama, dem Papa, dem Onkel oder der Oma nicht gutgeht – das spüren Kinder meist, auch schon die Kleinen. «Eltern sind häufig überrascht, was Kinder alles mitbekommen», sagt Anja Lorenz.
Sie merken zum Beispiel, dass Mama oder Papa nicht auf Ansprache reagiert, schneller gereizt oder immer wieder traurig ist, wie Julia Ebhardt, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, sagt.
Und nicht nur das: Die Kinder machen sich Gedanken, beziehen vieles auf sich. «Und fühlen sich schuldig, weil sie keine andere Erklärung haben als: „Ich habe irgendwas gemacht, und deswegen geht es Mama oder Papa nicht gut“.»
Daher ist es wichtig, dass Eltern Klarheit schaffen: Es handelt sich um eine Krankheit. Das gilt auch schon für Kleinkinder.
Eine wichtige Botschaft, die Eltern in so einem Gespräch transportieren sollten: «Das hat nichts mit dir zu tun. Dafür trägst du keine Schuld», betont Anja Lorenz. Schließlich sollen sich die Kinder nicht für die Erkrankung verantwortlich fühlen.
Soll noch jemand dabei sein? Den Nachwuchs entscheiden lassen
Was sich Eltern vor einem Gespräch fragen: Wer sollte es am besten führen? Lieber der Vater selbst, der an Depressionen erkrankt ist? Oder eher die Mutter als Außenstehende?
Das hängt von der jeweiligen Beziehung zum Kind ab. Kinder wüssten in der Regel sehr gut, was sie wollen, sagt Anja Lorenz. «Fragen Sie doch einfach: „Ich möchte etwas mit dir besprechen, was mich betrifft. Ist das okay? Sollen wir das zu zweit machen? Oder soll noch jemand dabei sein?“»
Ob vier Jahre alt oder 14 Jahre: Es ist vor allem das Alter der Kinder, das bestimmt, wie so ein Gespräch aussieht – und wie viele Details sein müssen. «Jüngere Kinder brauchen weniger Informationen als ältere», sagt Julia Ebhardt.
Eltern sollten in möglichst einfachen, kindgerechten Worten erklären, um welche Erkrankung es sich handelt – und was das genau bedeutet. Die Therapeutin kennt auch eine Strategie, mit der das gelingen kann. «Gut ist es hier, an dem anzudocken, was die Kinder gerade interessiert», sagt Ebhardt. «Zum Beispiel an eine bestimmte Figur oder ein Themenfeld wie Ritter, Monster, Dinosaurier, Fußball oder Feen.»
Habe der Ritter eine Depression, dann sehe man ihm das nicht an. Aber es sei in etwa so, als würde der Ritter keine Rüstung mehr tragen. «Oder die Fee, die nicht mehr zaubern kann und sich nicht mehr mit anderen Feen treffen mag.» Hierbei dürfe man ruhig kreativ werden und die Lebenswelt des Kindes aufgreifen.
Die Angst bekommt die Gestalt eines Monsters
Bei Angsterkrankungen arbeitet man laut Ebhardt oft mit dem Bild eines Monsters. Es überfällt ganz plötzlich und fühlt sich nach großer Gefahr an. Und so können Eltern diese Verbildlichung auch nutzen, um Kindern eine Angststörung zu erklären. Ist das Angstmonster einmal als Gestalt in der Welt, fällt es leichter, einen Umgang damit zu finden.
Solche kindgerechten Erklärungen sind erwünscht. Allerdings sollten Erwachsene darauf achten, nicht zu verklausuliert zu sprechen. «Und bitte keine unwahren Geschichten erfinden, warum Mama oder Papa jetzt nicht da ist», sagt Anja Lorenz. Zum Beispiel, wenn ein Elternteil in einer psychiatrischen Klinik stationär behandelt wird. «Das Kind merkt, dass daran etwas nicht stimmt. Und diese Lügen belasten und verwirren zusätzlich.»
Generell gehe es um Sicherheit und Geborgenheit: «Man sollte betonen, dass sich Mama oder Papa bereits kümmern und schon Hilfe geholt haben», sagt Lorenz. «Sonst denkt das Kind, es müsste helfen.» So könne man auch der Sorge des Kindes entgegenwirken, seine Eltern zu verlieren.
Bücher als Unterstützung
Ab einem Alter von etwa drei Jahren können Eltern auch Bücher zu Hilfe nehmen. Die sollten natürlich zum Alter und zur Entwicklung des Kindes passen – das Kind sollte schließlich nicht mehr verunsichert werden, als es vielleicht ohnehin schon der Fall ist. «Außerdem sollten die Bücher gemeinsam gelesen und angeschaut werden, um Fragen beantworten zu können», sagt Julia Ebhardt.
Und wenn Eltern das Gefühl haben: Wir brauchen Hilfe von außen, die Erkrankung in der Familie nimmt das Kind sehr mit? Unterstützung für betroffene Familien gibt es bei Familienberatungsstellen. Vereinzelt gibt es auch spezielle Angebote für Kinder psychisch kranker Eltern. Belastet die Situation stark, kann es sinnvoll sein, das Kind einem Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten vorzustellen.
Mehr Nachrichten
Rodel, Ski, Helm: Gut ausgerüstet ins Wintervergnügen
Zusammen am Tisch: Wie gemeinsames Essen die Seele stärkt
Rodel, Ski, Helm: Gut ausgerüstet ins Wintervergnügen