23. November 2024

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Sexuelle Übergriffe im Netz: Wie sich Frauen wehren können

Mit scheinbar harmlosen Bitten nach heißen Fotos von jungen Frauen im Chat fängt es an und mit Erpressung endet es meist für sie. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Silvia Marks/dpa-tmn)

Anzüglichkeiten im Gespräch, obszöne Gesten, ungewünschte Berührungen: Sexuelle Übergriffe finden zwar meist im realen Leben statt, aber in abgewandelter Form auch häufig in den sozialen Netzwerken. Dies ist das Ergebnis einer Pilotstudie des Delta-Instituts für Sozial- und Ökologieforschung in Penzberg. Danach hatten zwei Drittel der befragten Frauen sexistische Übergriffe gegen sich oder andere erlebt, jede Dritte der Betroffenen berichtete von entsprechenden Erfahrungen im Internet. 

Das können Übergriffe von Bekannten sein, aber auch von völlig fremden Menschen, die Mädchen und Frauen in den sozialen Netzwerken anschreiben. «In der Regel fängt es harmlos mit einem lockeren Small Talk an», sagt Lena Weilbacher vom Weissen Ring in Mainz. Der kann sich über Tage und durchaus über Wochen ziehen, schließlich wissen viele Täter, dass mit einem Beziehungsaufbau ihre Chancen steigen. 

Erst dann wird nach Fotos gefragt und geschmeichelt, etwa mit Sätzen wie «Du bist eine wunderschöne junge Frau» oder «Ich wette, du siehst auch ganz toll im Bikini aus». Meist sind Mädchen oder junge Frauen betroffen, sie fühlen sich wohl und geschmeichelt. Doch der nächste Schritt ist unter Umständen nicht mehr weit: Dann bekommen sie vielleicht ein Dickpic, also das Bild eines Penis, zugeschickt, werden selbst nach Nacktfotos gefragt und schließlich bedrängt.

Bedenklich: Viele junge Leute finden normal, Nacktbilder auszutauschen

«Erschreckenderweise herrscht bei diesem Thema nicht viel Sensibilität, die Leute sind abgestumpft», berichtet die Fachfrau der Opferhilfe-Organisation aus ihren Beratungsgesprächen und Vorträgen in Schulen. Viele junge Menschen meinen, das sei doch normal, sie hätten auch schon mal ein Nacktfoto verschickt und auch bekommen. Dabei kann das unter Umständen sogar eine Straftat sein. 

Vera Arnold vom Frauennotruf in Frankfurt hat die Erfahrung gemacht, dass viele betroffene Frauen auf die Täter unangemessen höflich reagieren und ihm noch schreiben, wenn sie im eigenen Interesse den Kontakt längst beendet haben sollten. So antworten sie etwa ausweichend oder erklären ihm, warum sie solche Fotos nicht bekommen und verschicken wollen. 

Oder noch schlimmer: Sie geben dem Drängen nach und senden ihm die gewünschten Bilder, manche treffen sich sogar mit dem Mann. «Die Betroffenen sollten auf ihr eigenes Bauchgefühl hören, den Kontakt abbrechen und gegebenenfalls blockieren», empfiehlt Arnold dringend. Wer möchte, kann den Mann zudem beim Betreiber der Internetseite melden. 

Fatal: Bauchgefühl verdrängen, Beklommenheit und Angst herunterspielen

Doch häufig spielen die Mädchen und jungen Frauen ihre Empfindungen wie Beklommenheit oder Angst runter. Was ist denn schon passiert?, fragen sie sich. Er hat mir ein Dickpic geschickt und mich nach einem Nacktfoto gefragt – war das jetzt schlimm? Es gibt doch viel Schlimmeres. Doch ich fühle mich so schlecht. 

So oder ähnlich sieht nach der Erfahrung der beiden Expertinnen die Gedankenwelt vieler Betroffener aus. Hilfe und Unterstützung erhalten sie unter anderem in den Beratungsstellen, die es überall in Deutschland gibt. «Auch wenn das Erlebte nicht in den strafbaren Bereich fällt, ist es besser, sich mal beraten zu lassen und Unterstützung zu holen», erklärt Arnold. «Ich wünsche mir, dass sich die Frauen mehr trauen und früher zu uns kommen.»

Denn obwohl bereits die ungebetene Zusendung von Nacktbildern keine Kleinigkeit ist, kontaktieren viele Betroffene erst dann die Beratungsstellen, wenn es noch schlimmer geworden ist: Sie werden etwa von dem Mann gestalkt, er hat ihre Nacktfotos weitergeschickt oder droht damit, dies zu tun, wenn sie ihm nicht Geld zahlt. Manche Fotos und Videos finden sich später in entsprechenden Porno-Netzwerken wieder.

Bei Erpressung: Auch wenn man sich schämt, Chat-Verlauf nicht löschen 

«Das Internet vergisst nie», so Weilbacher. Sie weiß, dass sich die Mädchen und junge Frauen, die solche Aufnahmen von sich verschickt haben, oft dafür schämen und am liebsten keinem davon erzählen möchten. Doch das erhöhe für sie selbst den Druck, erklärt sie. Es sei sinnvoll, jemandem die Situation zu schildern, etwa in der Familie, im Freundeskreis oder eben einer Hilfsorganisation. Zudem sollte der Chat mit dem Täter nicht gelöscht, sondern archiviert werden – aus Beweisgründen. 

Denn unter Umständen ist es sinnvoll, eine Anzeige bei der Polizei zu erstatten, da das Verhalten der Täter durchaus in den strafrechtlich relevanten Bereich fallen kann, zum Beispiel wegen Bedrohung, Nachstellung, Nötigung oder der Verbreitung von kinder- oder jugendpornografischer Fotos und Videos. Die Täter fühlen sich zwar in der scheinbaren Anonymität des Netzes meist sicher, wie die beiden Expertinnen wissen. 

Möglichkeiten für Ermittlungen und Angst vor neuen Beziehungen 

Doch diese Sicherheit ist trügerisch: Die Polizei hat Möglichkeiten, die Identitäten hinter Fake-Accounts zu ermitteln, zudem ist das Internet kein rechtsfreier Raum. Und so kann es passieren, dass eines Tages beim Täter Polizisten vor der Tür stehen, um eine sogenannte Gefährderansprache durchzuführen. Ermittlungsverfahren können eingeleitet werden, unter Umständen droht sogar ein Gerichtsprozess. 

Die strafrechtlichen Auswirkungen sind das eine, doch die Taten haben für viele Mädchen und junge Frauen auch psychische Folgen. Das ist vor allem der Fall, wenn es sich bei der Tat um die von ihrer Seite aus erste «romantische Beziehung» gehandelt hat. «Sie haben vertraut und nun Angst davor, neue Beziehungen einzugehen», erklärt Weilbacher. 

Von Sabine Maurer, dpa