Von Bruce Springsteen bis zu Gerhard Schröder: In Corona-Zeiten ließen sich viele von ihrer Frau die Haare schneiden, das war bei Instagram zu sehen.
Frauen klatschten sich billige Farbe aus der Drogerie auf den grauen Ansatz oder versuchten, den herausgewachsenen Pony so gut es geht zu ignorieren. Nun ist ein Ende der Corona-Mähne in Sicht.
Am 1. März dürfen die 80 000 Friseurbetriebe in Deutschland nach monatelanger Zwangspause wieder öffnen. Für manche überraschend bekamen sie dafür von Bund und Ländern die Erlaubnis. Sie sind früher dran als der Einzelhandel, was Ärger brachte. Nach dem Motto: Warum sind Friseure eigentlich so wichtig?
Wie die Haare sitzen: Das kann einen großen Unterschied ausmachen. Ursula von der Leyen befreite sich vor einigen Jahren mit kurzen Haaren von ihrem biederen Image des «Röschens» aus Niedersachsen. Angela Merkel verdankte dem kürzlich gestorbenen Friseur Udo Walz ihren optischen Relaunch. Kabarettisten machen schon lange kaum mehr Witze über ihre Haare.
Dass das Thema auch für viele Männer keine Nebensache ist, zeigen die gut frisierten Fußballer. Oder die Herren, die sich schon Haare transplantieren ließen: Italiens Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi, Fußballtrainer Jürgen Klopp, FDP-Chef Christian Lindner. Dieser reimte 2014 in einer Aachener Karnevalsrede: «Um liberales Wachstum zu generieren, ließ ich mir die Haare transplantieren.» Der Saal sang dazu: «Du hast die Haare schön, du hast die Haare schön.»
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat da mit seinem vollen Schopf eher Probleme, im Lockdown bald wie ein Monchichi-Äffchen auszusehen. Derzeit ist sein Look etwas zerzaust, die Koteletten sind überlang. Für den CSU-Politiker ist eine ordentliche Frisur nicht nur eine Frage der Hygiene, wie er in der Lockerungsdebatte deutlich machte. Er sagte, dass es auch um Würde gehe. Um Würde?
«Das finde ich vollkommen richtig», sagt der Berliner Starfriseur Shan Rahimkhan. Den Effekt eines Salonbesuchs beschreibt er so: «Du gehst raus und fühlst dich wohl, das macht was mit einem.» Er nennt die gängigen Argumente der Branche: Anders als der Handel geht ein Friseurbesuch nicht online. Wenn man im Lockdown einen Termin im Internet bucht, ist es illegal. Dann lieber mit ordentlicher Hygiene im Salon. Shan Rahimkhan fällt noch die über 90 Jahre alte Tante seiner Frau ein. Die sei zwar gut zu Fuß, aber seit Monaten allein, ohne Plauderei oder ohne jemanden, der zuhört. Der Friseur fehlt.
Beim Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks heißt es, der Beruf sei «sozial systemrelevant». Das heißt: Er ist auch wichtig für das Miteinander. Klar, dass die Friseure so argumentieren. In der Lockerungsdebatte wollen viele Branchen bald wieder öffnen. Aber wer den Smalltalk unter Kollegen verfolgt oder sich bei Verwandten umhört – es stimmt: Friseure sind sozialer Kitt und Balsam. «Schönheit hat Konjunktur, und das gilt auch für Deutschland», sagt der Zentralverbands-Geschäftsführer Jörg Müller. Die Pandemie habe das noch verstärkt.
Außerhalb der Branche gefragt: Sind Friseure wichtiger geworden? «Jein», sagt der Kunsthistoriker und Autor Christian Janecke («Haar Tragen: Eine kulturwissenschaftliche Annäherung», «Tragbare Stürme – Von spurtenden Haaren und Windstoßfrisuren»). Einerseits: Bei der Optik sei es in einigen Berufen mittlerweile nicht mehr so streng wie früher. Zudem gibt es auch bei Haaren den Trend zum Selbermachen.
Andererseits: «Wir haben eine Gesellschaft, in der die Fassade wieder wichtiger wird.» Die Videokonferenzen im Homeoffice verstärken das aus Janeckes Sicht noch, dort werden alle zu «Talking Heads», das Gesicht wie ein Bild gerahmt. «Und Haare sind nicht nur Natur-, sondern auch Kulturausdruck», sagt der Professor an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Der Körper bleibt der gleiche – eine Frisur kann den Unterschied machen, ähnlich wie bei Schuhen. Auch die Selfie-Kultur und die Macht der Bilder in der digitalen Welt spielen für ihn hier eine verstärkende Rolle.
Wie es sich anfühlt, mit einem misslungenen Schnitt vom Friseur zu kommen, diese tiefe Verzweiflung: Das hat eine Szene in der britischen Serie «Fleabag» gut eingefangen. Dort tröstet die Titelheldin ihre Schwester, die sich mit ihrer schiefen Friseur hundeelend fühlt: «Es ist modern!» Und als nichts hilft: «Es ist französisch!» Als der Friseur im Salon den Schwestern weismachen will, Haare seien doch nicht so wichtig, braust Fleabag auf: «Haare sind alles!»
Noch ein Beispiel für eine haarige Lage, aus einer Kleinstadt im Südwesten Deutschlands: Tante Hilde, eine Frau um die 60, deren richtiger Name nicht veröffentlicht werden soll, leidet in der Pandemie ohne Friseur. Auch wenn sie die Corona-Maßnahmen versteht, für sie war schon das Maske-Tragen schlimm. Mit den Stoffmasken konnte sie sich nach ein paar Monaten anfreunden, aber jetzt, wo es mit den medizischen Masken dieser «Schnabel» sein soll, findet sie sich total entstellt. In diese Gemengelage kommen die nicht liegenden Haare noch dazu: «Jetzt muss ich die jeden Tag waschen.» Damit fühlt sich Tante Hilde so unwohl, dass sie so gut wie gar nicht mehr rausgeht. Die Haare geben ihr da noch den Rest.
Auch wenn es nicht immer so aufs Gemüt drückt, auf den Friseur zu verzichten, die Erleichterung ist da. «Also, ich freue mich auch, wenn Friseure mal wieder aufmachen können, das ist ja klar», ließ sich Angela Merkel Anfang Februar im Interview der Sender RTL und ntv entlocken.
Immerhin ging es der Kanzlerin haarmäßig besser als anderen. «Ich habe ja bekanntermaßen da auch Unterstützung durch eine Assistentin», sagte sie auf die Frage, wer sich denn in Lockdown-Zeiten um ihre Frisur kümmere. «Wir halten natürlich alle sanitären Bestimmungen ein.» Alles kann die Assistentin aber anscheinend nicht richten. «Dass man langsam grau wird, damit muss man dann leben.»
Der Ansturm auf die Friseure dürfte am 1. März riesig sein. Bei Shan Rahimkhan, der Salons am Berliner Gendarmenmarkt und am Kurfürstendamm hat, sind die Termine über Wochen ausgebucht. Im Lockdown habe er viele «unmoralische Angebote» bekommen und immer abgelehnt, illegal die Haare zu schneiden. Auch bei seinen eigenen Haaren war er nach eigener Aussage konsequent und verzichtete auf Profis. Sein 13 Jahre alter Sohn durfte ran. Das ging schief: «Ich hab‘ ihm falsche Aufsätze gegeben, und dann hatte ich ganz rasierte Haare.»
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