23. November 2024

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Ehec-Krise 2011: Kann es erneut zu einem Ausbruch kommen?

Prof. Alexander Mellmann leitet das Nationale Konsiliarlabor für das HUS-Syndrom und pflegt eine der weltweit größten Sammlungen an EHEC-Erregerstämmen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Guido Kirchner/dpa)

Anfang Mai 2011 erkranken die ersten Menschen in Deutschland. Noch weiß niemand, dass hier der weltweit schlimmste erfasste Ausbruch mit dem Darmkeim Ehec seinen Lauf nimmt.

Bis zum 22. Mai steigt die Zahl der Infizierten rasant, Erkrankte leiden an blutigen Durchfällen und akutem Nierenversagen, es gibt Tote. Die «Ehec-Krise», verursacht von einem zunächst unbekannten verunreinigten Lebensmittel, sorgt für große Verunsicherung. Fieberhaft suchen Forscher und Lebensmittelbehörden nach der Quelle des Erregers.

«Uns war schon früh klar, dass dies eine andere Größenkategorie ist als das, was wir bisher an Ehec-Ausbrüchen kannten», erinnert sich Christina Frank, Infektionsepidemiologin am Robert Koch-Institut. Sie und ihre Kollegen wurden am 19. Mai eingeschaltet, als in Hamburg eine Häufung registrierter Fälle sichtbar wurde. Im Nachhinein gehen die Forscher davon aus, dass der erste Betroffene wohl am 8. Mai erkrankte.

Übertragung durch verunreinigte Lebensmittel

Ehec-Keime finden immer mal wieder ihren Weg in den menschlichen Körper – meist über verunreinigte Lebensmittel. Zuletzt wurden jährlich etwa zwischen 1000 und 2000 Infektionen gemeldet. Die schwere Komplikation HUS, die mit akutem Nierenversagen und einem gestörten Blutbild einhergehen kann, ist mit im Schnitt 75 Fällen pro Jahr eine eher seltene Erkrankung.

Nicht so im Frühsommer 2011: Das HUS-Syndrom als schwerste Form trifft in nur zwei Monaten 855 Menschen in Deutschland. Fast 4000 Infizierte zählt das RKI, vor allem in Norddeutschland. 53 Menschen sterben. Mit ihren Kollegen befragt Frank noch am Krankenbett viele Erkrankte, was sie gegessen haben. Später werten Wissenschaftler auch Angaben von einem Koch aus, in dessen Restaurants es Ansteckungen gegeben hatte.

Gesucht werden Gemeinsamkeiten auf dem Speiseplan, um Rückschlüsse auf die mögliche Infektionsquelle zu ziehen. Anfangs geraten Salatzutaten wie Tomaten, Gurken und Blattsalat in Verdacht. Später wird klar, dass sich der Keim auf Sprossen vermehrt hatte – manche hatten sie als Salatgarnitur verzehrt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Inzwischen gilt es als gesichert, dass der Erreger über eine Charge Bockshornkleesamen aus Ägypten nach Deutschland gelangte. Ein Gartenbaubetrieb in Niedersachsen hatte daraus Sprossen hergestellt und vertrieben.

Nicht alle Ehec-Erreger produzieren gefährliche Gifte

«Das brach über Nacht über uns hinein», blickt der Mikrobiologe Prof. Alexander Mellmann vom Uniklinikum Münster zurück. Er leitet das dortige Nationale Konsiliarlabor für das HUS-Syndrom und pflegt eine der weltweit größten Sammlungen an Ehec-Erregerstämmen. Er spricht von einer «Verkettung unglücklicher Umstände»: Da sei einerseits die kleine Sprosse als Transportmittel, die großflächig und schlagartig verteilt wurde. Andererseits sei da die hohe Schlagkraft des Erregertyps, der anfangs ebenfalls unbekannt ist.

Es wimmele in der menschlichen Darmflora nur so vor E.-coli-Bakterien, zu denen auch krankmachende Ehec-Erreger gehören, erklärt der Facharzt für Mikrobiologie und Hygiene. Gefährlich ist der Keim dann, wenn in seinem Erbgut Gene enthalten sind, die zur Produktion spezieller Gifte führen, sogenannter Shigatoxine. Während etwa Wiederkäuer mit diesen Giften klarkommen, können sie im Darm des Menschen Schäden anrichten. Wie groß diese sind, hänge von der genauen Beschaffenheit des Erregers ab, erklärt Mellmann.

Ehec-Krise von 2011 heute fast vergessen

Am 25. Mai 2011 konnte das HUS-Konsiliarlabor den Erreger als Ehec vom Typ O104:H4 identifizieren. Bis dahin sei dieser Keimtyp nur einmal 2011 nachgewiesen worden. Inzwischen sei gut erforscht, dass es sich um einen Hybrid mit mehreren gefährlichen Eigenschaften handele. So bleibe er besonders gut an den Darmzellen haften und halte dabei seine Nachbarn fest, erklärt Mellmann. «Da entsteht ein ganzes Mauerwerk aus Ehec-Bakterien, das dann sein Gift ausschüttet und die Zellen schädigt.»

Ende Mai 2011 flaute die Infektionswelle merklich ab und lief im Folgemonat aus. Ungeöffnete Packungen der verunreinigen Sprossen wurden nie gefunden. Ehec O104:H4 war gegessen, buchstäblich. Die Krise ist bei vielen in Vergessenheit geraten – erst recht im Lichte der Corona-Pandemie.

Was als Lehre geblieben ist? Längst seien Meldewege digitaler geworden, sagt Mellmann. Zur Zeit arbeitet er mit anderen Forschern und Bundesbehörden an einem Konzept, wie Ausbrüche durch bessere Vernetzung der Diagnostik und geteilte digitale Sammlung vergleichbarer Erregerdaten früher erkannt werden können.

Rohverzehr erhöht Risiken

Weil durchaus mit krankmachenden Erregern auf pflanzlichen Lebensmitteln zu rechnen sei, geht etwa das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) davon aus, dass der Trend zum Rohverzehr Risiken erhöht. «So etwas kann immer wieder geschehen, auch vor dem Hintergrund, dass wir bei uns unbekannte Erreger über Lebensmittel, die roh verzehrt werden können, mit den Produkten aus anderen Ländern importieren», sagt BfR-Präsident Prof. Andreas Hensel. Es gelte daher, die Sicherheit entlang der gesamten Lebensmittelkette durch internationale Zusammenarbeit zu stärken.

Auch der Verbraucher ist gefragt: Lebensmittel erhitzen, waschen, kühlen – über Generationen habe sich der Mensch angepasst, erläutert Epidemiologin Frank. Durch Hygienefehler könne vermeintliches Superfood zum Risikolebensmittel werden: «Wenn ich mir Grünkohl, der einfach schwer zu waschen ist, ungekocht in meinen Smoothie haue, bringt der vielleicht die Flora des Ackers mit sich.»

Ehec O104:H3 jedenfalls ist seit der Krise 2011 zwar in Einzelfällen nachgewiesen worden, hat aber zu keinem großen Ausbruch mehr geführt.

Von Florentine Dame, dpa