«Nette und geistreiche Männer» trügen so etwas, antwortete der Modedesigner Gianni Versace auf die Journalistenfrage, wer denn so rumlaufe.
Er hatte soeben – es war 1994, drei Jahre vor seinem Tod – junge Herren mit Minirock über der Hose, knallroten Lippen und außerdem noch Nagellack über den Laufsteg in Mailand geschickt.
Fast 30 Jahre später sind lackierte Nägel bei urbanen jungen Männern zwar kein Massenphänomen, aber durchaus zu beobachten. Vor ein paar Jahren meinte der Designer Marc Jacobs sogar, Nagellack sei für Männer das passende Finish für den perfekten Look.
Nagellacklinie für Männer
Während es manche doof finden, sich die Nägel mit Chemie zuzukleistern, finden es andere supersexy. Portugals Fußballstar Cristiano Ronaldo mag sich bekanntlich mit lackierten Fußnägeln.
Der amerikanische Rapper Lil Yachty hat jetzt sogar eine Nagellacklinie für Männer auf den Markt gebracht. Die Kollektion «Negatives 001» hat zunächst aber nur die Farben Betongrau, Mattweiß und Mattschwarz als «Mann-iküre» im Angebot.
«Ich fand das schon immer schön, angemalte Fingernägel», sagte der Schauspieler Lars Eidinger einst der dpa. «Das ist sozusagen der Grad an Exaltiertheit, den ich mir so erlaube.» Das Lackieren sei weder ein Statement, noch wolle er eine Frau sein. Meist nehme er Blau oder Schwarz, es könne aber auch mal das klassische Rot sein.
Nur ein Spleen?
Ein Blick in die Promiwelt bringt neben Eidinger (45) und Rapstar Lil Yachty (23) derzeit so einige lackierte Typen ans Licht: zum Beispiel Glamrocker Damiano David (22) von der italienischen Band Måneskin, die den Eurovision Song Contest 2021 gewann, den queeren Rapper Lil Nas X (22), den «Let’s Dance»-Sieger und früheren isländischen Fußballspieler Rúrik Gislason (33), den britischen Popsänger Harry Styles (27), den amerikanischen Schauspieler Ansel Elgort (27) sowie das 22 Jahre alte Model Brooklyn Beckham (ältester Sohn von Fußball- und Metrosexualitätsikone David Beckham). Auf Instagram finden sich Tausende Posts unter Hashtags wie #guynails oder #malepolishedtoes.
Natürlich trugen schon Stars wie David Bowie, Kurt Cobain, Mick Jagger, Keith Richards, Johnny Depp und Aerosmith-Sänger Steven Tyler das Beauty-Produkt Nagellack. Doch das galt meist nur als Spleen.
«Im Moment sehen wir, dass bei männlichen Influencern die Begeisterung für dekorative Kosmetik zugenommen hat und sich auch der eine oder andere Schauspieler mit Nagellack auf dem roten Teppich zeigt», sagt Birgit Huber, die stellvertretende Geschäftsführerin beim Industrieverband Körperpflege und Waschmittel (IKW) in Frankfurt/Main. Doch ein richtiger Markt sei deshalb dennoch nicht auszumachen. Das bestätigten Ergebnisse aus Jugendstudien, sagt Huber. Männer gaben bei Befragungen zwar an, dass sie Styling-Trends zu Make-up und Nagellack auf Instagram wahrnehmen. «Viele junge Männer distanzieren sich aber deutlich davon, etwa selbst zum Nagellackfläschchen zu greifen. „Hab ich schon mal gesehen, aber kann ich nichts mit anfangen“ sind Aussagen, die wir hierzu erhielten.»
Lackierte Finger als Statement
Nagellack kommt seit Jahren auch bei der ernsten Social-Media-Kampagne «Polished Man Challenge» zum Einsatz. Sie soll die Aufmerksamkeit für sexuelle Gewalt an Kindern erhöhen. Weil im Schnitt einer von fünf Minderjährigen Opfer sexueller Gewalt wird, lackieren sich Teilnehmende einen der fünf Finger an der Hand. Zu den mitmachenden gehörten Promis wie Chris Hemsworth, sein Bruder Liam Hemsworth, Zac Efron oder auch Shawn Mendes.
Apropos Kinder: Wenn kleine Jungs Nagellack hübsch finden und ihn einfach so tragen wollen, stoßen sie auch im Jahr 2021 oft noch auf Ablehnung oder Mobbing. Immer wieder gibt es deshalb Berichte über coole Papas, die aus Solidarität mit ihren Söhnen bunte Nägel tragen.
Als Schönheitstrend hat es mit dem Nagellack aber eine andere Bewandtnis. Der Männermode-Experte Marco Nikolaj Rechenberg sagt: «Nagellack ist eine Möglichkeit für Männer, Flexibilität und Offenheit für gesellschaftliche Veränderungen zu signalisieren, ohne das Maskulinitäts-Postulat auf der Straße ernsthaft in Frage zu stellen.» Die Idee, als Mann Nagellack zu benutzen, stamme aus der meist heterosexuellen Punk-, Rock-, Grunge- und Skaterwelt und weniger aus der Dragqueen-Kultur, sagt Rechenberg.
Aufmersamkeit durch Regelbruch
Der Style Director beim Magazin «Numéro Berlin» und Inhaber der Consulting-Agentur Advisory Board Agency in München betont: «Motivation ist nicht die Andeutung von Queerness oder Gender Bending, sondern, im Gegenteil, eher die Betonung der eigenen Heterosexualität oder Maskulinität durch den als mutig wahrgenommenen Regelbruch.» Nagellack eigne sich dafür besonders gut, weil die Hemmschwelle der Anwendung sehr tief liege.
Nagellack wirke weniger feminin als andere dekorative Kosmetik, einfach weil er nicht ein natürliches Schönheitsmerkmal betone wie etwa Lippenstift und Lidschatten, sagt Rechenberg. Historisch gehe es bei Nagellack weniger um Attraktivität als um den gesellschaftlichen Stand, also dass man eben nicht mit den Händen arbeiten müsse. «Nagellack ist völlig künstlich, Menschen haben von Natur aus rote Lippen, aber keine lackglänzenden Nägel.»
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