23. November 2024

HEALTH News

Alles rund um Ihre Gesundheit

Bluttest soll Vielzahl von Krebsarten erkennen

Spezielle Tests können Erbgut von Krebszellen im Blut nachweisen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: picture alliance / dpa)

Der Kampf gegen Krebs bedeutet einen Wettlauf gegen die Zeit. Je früher die Erkrankung erkannt wird, umso größer sind die Überlebenschancen. Bereits seit geraumer Zeit wird an Bluttests geforscht, die eine schnelle Früherkennung versprechen.

Einer dieser Tests soll nun mithilfe einer einzigen Probe in der Lage sein, mehr als 50 verschiedene Krebsarten zu erkennen – und das mit einer Genauigkeit, die eine Markteinführung erlaube. Deutsche Experten sehen allerdings noch offene Fragen.

Was bedeutet «Liquid Biopsy»?

Schon länger arbeiten Wissenschaftler daran, Hinweise auf Tumore im Blut zu finden. Derartige Verfahren werden auch als «Liquid Biopsy» bezeichnet. Damit können Blutproben auf sogenannte zirkulierende freie DNA (cfDNA) analysiert werden: Zerfallen Krebszellen, gelangen oft tumortypische Proteine oder Erbgut-Bruchstücke ins Blut. Im Rahmen der Flüssigbiopsie wird Genomsequenzierung genutzt, um krebstypische Methylierungssignaturen – das sind Anlagerungsmuster an dieser DNA – aufzuspüren.

Auch der kürzlich im Fachblatt «Annals of Oncology» vorgestellte «Galleri»-Test basiert auf diesem Verfahren. Dabei sind die US-Wissenschaftler laut einer unabhängigen Einschätzung von Sonja Loges, Direktorin der Abteilung Personalisierte Onkologie des Universitätsklinikums Mannheim, äußerst systematisch vorgegangen: «Sie haben zunächst drei verschiedene Sequenzierungsmethoden verglichen und dann diejenige identifiziert, die deutlich empfindlicher war als die anderen.»

Test erkennt mehr als 50 verschiedene Krebsarten

Im zweiten Schritt seien alle Gene sequenziert und jene zusammengestellt worden, die eine hohe Assoziation mit Krebserkrankungen hätten. «Daraus entwickelten die Autoren dann im dritten Schritt ein sogenanntes Panel, das sie mit einer größeren Gruppe von Patienten sowie einer Vergleichskohorte getestet haben», erklärt Loges, die auch Leiterin der Abteilung Personalisierte Medizinische Onkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum ist.

Insgesamt umfasste die Studie 2823 Menschen, bei denen bereits Krebs diagnostiziert wurde, sowie eine Kontrollgruppe von 1254 Menschen ohne Krebs aus mehr als 140 medizinischen Zentren in den USA. Dabei war der «Galleri»-Test in der Lage, Krebssignale von mehr als 50 verschiedenen Krebsarten zu erfassen und in fast 90 Prozent der Fälle auch dem entsprechenden Gewebe zuzuordnen. Die Trefferquote variierte allerdings je nach Erkrankungsstadium erheblich. So lag etwa die Sensitivität auf alle Krebsarten gesehen bei 16,8 Prozent im frühen Stadium I, 40,4 Prozent im Stadium II, 77 Prozent im Stadium III und 90,1 Prozent im am weitesten fortgeschrittenen Stadium IV. Über alle vier Stadien hinweg erkannte der Test in 51,5 Prozent der Fälle korrekt, wenn Krebs vorhanden war.

Größere Sensitivität bei fortgeschrittenem Stadium

Für Holger Sültmann, Leiter der Abteilung Krebsgenomforschung am Deutschen Krebsforschungszentrum, sind diese Unterschiede nicht überraschend: «Kleine Tumore in frühen Krebsstadien geben in der Regel weniger DNA ins Blut ab und nur diese wird mit dem Test gemessen.» Je weiter fortgeschritten das Stadium, umso mehr steige die Sensitivität, also die Möglichkeit, den Krebs zu erkennen.

Eine weitere Varianz zeigte sich bei den unterschiedlichen Krebsarten. So war der Test besonders zuverlässig für einige Erkrankungen, für die es bislang keine Screening-Optionen gibt. Für solide Tumoren aus diesem Bereich, etwa Speiseröhren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenkrebs, lag die Gesamtempfindlichkeit bei 65,6 Prozent. Die Sensitivität bei Krebserkrankungen des Blutes ergab 55,1 Prozent. Im Vergleich dazu betrug diese bei soliden Tumoren infolge von Brust-, Darm-, Gebärmutterhals- und Prostatakrebs nur 33,7 Prozent.

«Wahrscheinlich geben diese Tumore weniger DNA ins Blut ab», vermutet Medizinerin Loges. «Zudem gibt es für das Prostata- oder Mammakarzinom gut etablierte Früherkennungsmethoden, so dass die entsprechenden Patienten in der Studiengruppe vielleicht ein frühes Tumorstadium hatten.» Sowohl Loges als auch Sültmann loben die Spezifität des Tests. Sie beschreibt, ob gesunde Menschen auch als gesund erkannt werden. «Die Autoren geben diese mit 99,5 Prozent an – wenn sich das in größeren Validierungsstudien bewahrheitet, wäre das ein großartiger Befund», kommentiert Biochemiker Sültmann. Frühere Bluttests hätten in dieser Hinsicht wesentlich schlechter abgeschnitten. Eine hohe Spezifität sei wichtig, um eigentlich Gesunden unnötige Folgediagnostiken zu ersparen.

Einfluss von Begleiterkrankungen noch nicht untersucht

Hier merkt Sonja Loges an, dass in der Studie allerdings eine große Zahl von Menschen aus der gesunden Kontrollgruppe aufgrund von Begleiterkrankungen ausgeschlossen wurde. Bestimmte andere Erkrankungen könnten indes ebenfalls Veränderungen der Methylierungen bewirken. «So bleibt ein Fragezeichen: Wäre der Test häufiger falsch positiv ausgefallen, hätte es mehr Menschen in der Gruppe ohne Krebs, aber mit Erkrankungen der gleichen Organsysteme gegeben?» Um derartige Fragen auszuräumen, halten Loges und Sültmann größere Populationsstudien für nötig.

Tatsächlich kündigen die Autoren ein breit angelegtes Pilotprojekt in Kooperation mit dem Staatlichen Gesundheitsdienst von Großbritannien (NHS England) sowie drei weitere US-Studien an. Unabhängig davon bietet das Unternehmen, welches den Test entwickelt und die Studien finanziert hat, «Galleri» bereits auf seiner Website in den USA an – ein Schritt, den die beiden deutschen Experten für verfrüht halten.

Holger Sültmann sieht beispielsweise die Gefahr, eine falsche Sicherheit zu suggerieren: «So gut und fortschrittlich die Studie gemacht ist, bedeutet solch ein Test natürlich immer nur eine Momentaufnahme. Das berührt ein grundsätzliches Problem: Wann ist der beste Zeitpunkt für ein solches Screening und wie oft muss es durchgeführt werden?» Wolle man ein solches Testverfahren bevölkerungsweit anbieten, stelle sich zudem die Kostenfrage.

Von Alice Lanzke, dpa