Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat in der Corona-Pandemie vorerst auf eine generelle Empfehlung für Auffrischungsimpfungen bei Senioren verzichtet. Sie spricht sich bislang lediglich für einen zusätzlichen Schutz bei immungeschwächten Menschen aus.
Die Politik hat den Weg für Auffrischungen bei Senioren aber schon Anfang September frei gemacht. Was heißt das nun für Impfwillige?
Worum geht es?
Bei einer Auffrischungsimpfung (Booster) erhalten bereits vollständig geimpfte Menschen nach rund sechs Monaten eine weitere Dosis eines zugelassenen Corona-Impfstoffs. Diese neue Spritze soll einem nachlassenden Immunschutz vorbeugen. Denn durch einen Booster können sich deutlich mehr Antikörper gegen das Coronavirus bilden.
Was genau empfiehlt die Stiko jetzt?
Die aktuelle Empfehlung gilt allein für Menschen mit Immundefekten oder Erkrankungen, bei denen das Immunsystem durch Medikamente herunterreguliert wird. Das gibt es zum Beispiel bei Autoimmundefekten oder nach Transplantation. Es soll sogar innerhalb dieser Gruppen noch einmal nach dem Ausmaß der Immunsuppression differenziert werden. So soll sich der Zeitpunkt der Impfung danach richten, wie weit das Immunsystem geschwächt ist. Empfohlen wird eine Booster-Dosis dann mit einem mRNA-Impfstoff – in Deutschland sind die Vakzine der Hersteller Biontech/Pfizer und Moderna zugelassen.
Warum geht es bei der Stiko nicht explizit um Booster für Senioren?
Wann für Menschen ohne erkennbares Immunschwäche-Risiko eine Auffrischungsimpfung nötig sein werde, sei wissenschaftlich im Moment noch schwer zu beantworten, erläutert Stiko-Chef Thomas Mertens. Die Impfkommission will mit Unterstützung des Robert Koch-Instituts nun prüfen, wie häufig und wie ausgeprägt Covid-19-Erkrankungen aktuell in höheren Altersgruppen auftreten. Falls es ab einem bestimmten Alter gehäuft zu Impfdurchbrüchen kommen sollte, könnte es später durchaus zu einer allgemeinen Impf-Empfehlung kommen – etwa ab 60, 70 oder 80 Jahren.
Warum gibt es die Booster dann trotzdem schon für Senioren?
Die Gesundheitsministerkonferenz hat bereits Anfang August beschlossen, dass unter anderem Senioren ab 60 Jahren eine weitere Spritze wahrnehmen können – frühestens sechs Monate nach der vollständigen Impfung und nach «individueller Abwägung, ärztlicher Beratung und Entscheidung». Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verteidigte diese Strategie Anfang September. Er wolle nicht warten, bis in den Pflegeheimen wieder Menschen sterben, sagte er. Rund eine halbe Million Bundesbürger hat dieses Booster-Angebot bereits angenommen.
Politische Freigabe ohne Stiko-Empfehlung – wie ist das zu sehen?
Das Verfahren lässt dem Einzelnen die Wahl. Individuelle Impf-Wünsche sind in Rücksprache mit Ärzten nach Indikationen möglich – auch ohne allgemeine Empfehlung. Schon bei der Impfung für Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren hatte die Stiko das Vakzin zunächst nur Patienten mit bestimmten Vorerkrankungen empfohlen. Erst einige Wochen später erweiterte sie die Empfehlung auf alle 12- 17-Jährigen. Das liegt daran, dass die Stiko ein wissenschaftliches Gremium ist. Sie soll aufgrund von Studien entscheiden. Fehlen belastbare Zahlen, bleibt die Stiko vorsichtig.
Wie sehen Patientenschützer die derzeitige Lage?
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, kritisiert das Vorpreschen der Bundesländer. «Das Votum der Stiko galt es abzuwarten», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Er sei auch weiterhin kein Freund von ungeprüften Booster-Massenimpfungen. «Mit einer Blutuntersuchung lässt sich mit Blick auf SARS-CoV-2 der Immunstatus eines jeden Menschen checken», urteilte er. An den T-Zell-Werten könne dann abgelesen werden, wie gut ein Mensch geschützt sei – und ob er bereits eine weitere Impfung brauche. Grenzwerte für die T-Zell-Immunität müssten dann aber vom RKI festgelegt werden. «Dann bekämen wir ein lernendes System über den Immunstatus verschiedener Altersgruppen jenseits der Daten der Pharma-Industrie», sagte Brysch.
Was denken andere Wissenschaftler?
Der Charité-Infektiologe Leif Erik Sander hält Booster-Impfungen für Ältere sowie für Menschen aus anderen Risikogruppen medizinisch für sinnvoll. Im August veröffentlichte er Zwischenergebnisse seiner Forschungsgruppe. Diese bestätigten laut Sander, dass die Immunantwort von älteren Menschen auf die Impfung deutlich stärker nachlasse als bei jüngeren. Auch Carsten Watzl, Immunologe am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung der Technischen Universität Dortmund, sieht das so. «Aus immunologischer Sicht ist das sehr sinnvoll. Das Immunsystem verbessert bei jedem Kontakt mit einem Erreger die Immunreaktion auf diesen deutlich», sagte er kürzlich. Auch israelische Studien zeigten bei Senioren jüngst solche Effekte.
Was kann dennoch dagegen sprechen?
Watzl sieht die Lage differenziert. Sowohl ethisch als auch virologisch stellten diese Impfungen Probleme dar, urteilte er. «Weltweit herrscht immer noch Impfstoffmangel. Durch diesen sterben mehr Menschen als hierzulande durch eine dritte Impfung gerettet würden.» Für andere Experten ist es mit Blick auf das Infektionsgeschehen zudem wichtiger, auch in Deutschland erst einmal junge und gesunde Menschen zu impfen, die bislang noch gar kein Vakzin erhalten haben.
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