David Sirch lässt den Blick durch das spartanisch eingerichtete «Wohnzimmer» schweifen, das mal ein Stall war. Warum der 38-Jährige mit seiner Familie aus München auf den früheren Bauernhof im Allgäu gezogen ist?
«Das Zimmer hat 110 Quadratmeter, unsere Münchner Wohnung vorher war kleiner», sagt Sirch und lacht. Platz genug, um für die beiden Söhne mit Klebestreifen eine Rennstrecke auf dem Boden zu markieren.
Während der Corona-Pandemie wurden die drei Zimmer auf 83 Quadratmetern in der Landeshauptstadt für Sirch, seine Frau Julia Engel und die Kinder zu klein. Als im ersten Lockdown dann noch der Spielplatz im Innenhof gesperrt wurde, stand der Entschluss fest. Die Familie zog aufs Land – nach Oberegg, Ortsteil von Unteregg, das wiederum Teil einer Verwaltungsgemeinschaft im Landkreis Unterallgäu ist. Rund 440 Menschen leben hier in etwas mehr als 100 Häusern, einkaufen kann man in einer Bäckerei und in einem Dorfladen.
Höfe auf dem Land liegen im Trend
Alte Gehöfte wie das neue Zuhause von David Sirch stehen im Allgäu derzeit hoch im Kurs. «Wir kriegen im Schnitt pro Tag eine Anfrage», sagt Ramona Riederer, bei der Allgäu GmbH zuständig für den Bereich Regionalentwicklung. «Die Vorstellung eines Althofs ist in vielen geschlummert – und die Pandemie hat hier die Initialzündung gegeben.»
Dass der Platzmangel in den Großstädten derzeit viele junge Familien aufs Land ziehen lässt, sehen Experten nicht nur in Bayern. «Der Trend zur «neuen Landlust» hat sich bestätigt», heißt es im jüngsten Marktgutachten des Zentralen Immobilien-Ausschusses. Familien würden die größten Städte «mit wehenden Fahnen» verlassen, sagte Mitautor Harald Simons. Denn dort würden vor allem «kleine Schuhschachteln» gebaut und kaum noch bezahlbare, große Familienwohnungen.
Weniger Höfe im Angebot als Nachfrage
Wer deshalb in die Allgäuer Einöde ziehen will, steht aber derzeit oft vor einem großen Problem: Es stehen kaum Gehöfte zum Verkauf. «Wir haben viel mehr Nachfrage als Angebot», sagt Riederer. Immer wieder gingen alte Höfe an Erbengemeinschaften über, die sich nicht darauf einigen könnten, was mit dem Grundstück passieren soll. Manchmal sei auch unklar, ob die Aufgabe des dort zuvor ansässigen landwirtschaftlichen Betriebs auch beim Finanzamt gemeldet wurde – und vielleicht beim Verkauf größere Steuernachzahlungen drohen.
«Wir haben aber auch die Oma, die noch allein auf dem Familienhof lebt und nicht ins betreute Wohnen ziehen will», sagt Riederers Kollegin Johanna Krauß. Um Eigentümer doch dafür zu begeistern, ihre Höfe in Wohnraum umzuwandeln, hat die Allgäu GmbH eine «Masterclass Hoftransformation» initiiert. Eigentlich sei die für zehn Teilnehmer ausgelegt gewesen, beworben hätten sich etwa 50 Eigentümer. Gestartet sei man wegen großen Interesses letztlich mit 14, sagt Riederer. Mit mehr Teilnehmern wäre die Betreuung der Projekte schwierig geworden.
«Wir haben aber keinen einzigen Hof, der abgesprungen ist», sagt Riederer. Dabei bekämen die Teilnehmer auch Hausaufgaben, müssten sich mit baurechtlichen und finanziellen Fragen beschäftigen und träfen sich auch an verschiedenen Orten zu Exkursionen.
Neue Ferienwohnungen geplant für «Workation»
Für David Sirch und Julia Engel ist durch den Kurs etwas klarer geworden, was sie aus ihrem 2200-Quadratmeter-Grundstück mit Einliegerwohnung, Scheune und Garten machen wollen. Unterkünfte für Gäste sollen nach aktueller Vorstellung entstehen, ein gemeinsamer Raum als Treffpunkt und für Seminare sowie Arbeitsplätze für «Workation», eine Art Arbeitsurlaub – ein Trend, der durch das mobile Arbeiten in Zeiten von Corona noch mal verstärkt worden ist.
Raum für Open-Air-Veranstaltungen wie Hofkonzerte könnte sich David Sirch auf dem von seinem Onkel erworbenen Grundstück aber auch vorstellen. «Wir wollen einfach nicht allein im 440-Einwohner-Dorf sein», sagt er. Den ältesten Teil des Anwesens will die Familie neu bauen und selbst darin wohnen. Dass sie mit dem Projekt überfordert sein könnten, fürchten Sirch und Engel bisher nicht. «Ich glaube, der Moment kommt noch, wenn wir bauen», sagt Engel und lacht. «Wir sind noch beim Planen und jetzt erst mal voller Tatendrang.»
David Sirch pendelt unterdessen einmal pro Woche nach München. An den anderen vier Arbeitstagen reichten Videokonferenzen, sagt er. Die Internetverbindung sei dafür gut genug. Julia Engel, die einen Umzug ins Allgäu zunächst skeptisch gesehen hatte, freut sich derweil darüber, dass die Kinder im Garten spielen können. «Im Dorf dauert es zwar länger, bis man ankommt», sagt sie. «Aber ich gebe dem Zeit.»
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