30. November 2024

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Bringt der Klimawandel neue Gefahren in den Bergen?

Den massiven Gletscherabbruch in den Dolomiten führen Klimaforscher auf ungewöhnlich hohe Temperaturen zurück. Für Bergführer ist ein solches Ereignis oft schwer vorhersehbar. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Luca Bruno/AP/dpa)

Zwischen Geröll, Eis und Schnee suchen Rettungskräfte in Norditalien noch immer nach Vermissten. Drohnen kreisen am Mittwoch über den Unglücksort. Mindestens sieben Menschen sind am Sonntag (3. Juli) bei einem Gletschersturz in der Nähe von Canazei ums Leben gekommen. Die Bergsteiger wanderten auf die Marmolata.

Mit mehr als 3340 Metern ist sie der höchste Berg in den Dolomiten – ein beliebter Ausflugsort für Wintersportler und Wanderer. Bei dem Naturereignis auf der dem Trentino zugewandten Seite wurden acht Menschen verletzt – darunter zwei Deutsche. Ein Unglück aus heiterem Himmel, das auch Fragen zur Zukunft des Alpin-Sports aufwirft.

Was ist an der Marmolata passiert?

Am vergangenen Sonntag löste sich nach offiziellen Angaben gegen 13.30 Uhr ein Turm aus Gletschereis (Sérac) vom Bergmassiv der Marmolata und stürzte auf den darunter liegenden Weg zum Gipfel. Die Massen aus Eis, Schnee und Geröll donnerten mit bis zu 300 Kilometern pro Stunde talwärts. Die Lawine begrub mehrere Bergsteiger unter sich. In einer Höhe von rund 2800 Metern erstreckt sich nun über zwei Kilometer das abgebrochene Gletscher-Material. Ein etwa 60 Meter hoher und 80 Meter tiefer Teil des Eises ist oben aber weiter mit dem Bergmassiv verbunden, wo jetzt eine sichtbare Lücke klafft.

Welche Umweltfaktoren können zu dem Unglück beigetragen haben?

Hohe Temperaturen und damit der Eintrag von Schmelzwasser könnte der Auslöser gewesen sein, wie der Schweizer Glaziologe Matthias Huss sagte. So sieht das auch der italienische Klima-Forscher Roberto Barbiero. Das Wasser könnte dann einen Hohlraum zwischen Fels und Eis gespült und so dem Gletscherteil den Halt genommen haben. Seit mehr als einem Monat herrschten ungewöhnlich hohe Temperaturen in der Gegend, sagte der Klima-Fachmann. Am Unglückstag lag der Wert etwa zehn Grad über Null. Huss und Barbiero nennen außerdem die geringen Niederschläge im vergangenen Frühjahr und Winter als weitere Faktoren. Der Gletscher konnte Barbiero zufolge deshalb nicht von der sonst vorhandenen Schneedecke profitieren, was am Ende etwa einen Monat früher als sonst zur Schneeschmelze führte.

Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf Bergtouren?

Solche Gefahren habe es im Hochgebirge schon immer gegeben, sagte Huss. «Allerdings führt der aktuelle Klimawandel zu neuen und bislang schwer vorhersehbaren Situationen, die ständig neu beurteilt werden müssen.» Das Österreichische Kuratorium Alpine Sicherheit weist darauf hin, dass der Dolomiten-Gletscher bestimmte Besonderheiten aufweist. «Der Fels darunter ist sehr steil, das ist längst nicht überall so», sagte Matthias Knaus vom Kuratorium in Innsbruck. Man dürfe nicht ohne weiteres von diesem auf andere Gletscher schließen. Viele Gletscher würden sich auf eher flachem Fels ins Tal schieben, was die Gefahr solch dramatischer Ereignisse stark vermindere.

Ist Wandern unter solchen Gefahren durch den Klimawandel noch sicher?

Die Bergführer in Italien seien sich der Veränderungen bewusst, erklärt die Vereinigung der Bergführer in Italien. Zu ihrer Aufgabe gehöre deshalb, alternative Routen mit weniger Risiko zu suchen. Der Österreicher Knaus empfiehlt: Generell solle jeder Bergwanderer Risiko-Management betreiben. «Befinde ich mich in einer potenziellen Sturzzone eines Gletschers, sollte ich sie so schnell wie möglich wieder verlassen.» Die italienischen Bergführer raten zudem, bereits zu Hause die Wanderung aufmerksam vorzubereiten. Barbiero verweist auf Informationen, die etwa der Zivilschutz bereitstellt und den Rat von Hüttenwirten.

Lassen sich Gefahren durch instabile Gletscher voraussehen?

Im Fall der Marmolata gehen die italienische Bergführer-Vereinigung und Klima-Experte Barbiero davon aus, dass das Unglück nicht vorhersehbar war. Laut dem Glaziologen Matthias Huss ist es Bergführern auch mit viel Erfahrung kaum möglich, abzuschätzen, ob ein Abbruch unmittelbar bevorsteht. «Falls eine kritische Situation erkannt ist, könnte nur eine ständige Beobachtung der Veränderung Aufschlüsse über den Zeitpunkt des Ereignisses geben.» Matthias Knaus rechnet damit, dass Frühwarnsysteme in den nächsten Jahren ausgebaut werden. Huss hält diese aber für eine große Herausforderung.

Von Johannes Neudecker, Christiane Oelrich und Matthias Röder, dpa