23. November 2024

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Drogensucht bei Kindern: Die harte Gratwanderung für Eltern

Der Verein EL-dro-ST organisiert Selbsthilfegruppen für Eltern und Angehörige von drogengefährdeten bzw. drogenabhängigen Kindern. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Uli Deck/dpa)

Etwas stimmt nicht mit Per. Das merken seine Eltern schon länger. Doch erst als er krankenhausreif geschlagen wird und kurz darauf nachts im Alkohol- und Drogenrausch auf einer Brücke aufwacht, wird ihnen klar: Ihr Sohn hat ein Suchtproblem.

«Wir standen dem Ausmaß völlig hilflos gegenüber», erinnern sie sich. Drei Jahre später ist der 20-Jährige clean. Er macht eine Ausbildung als Erzieher. Doch bis dahin war es ein mühsamer Weg. Auch für die Eltern. Verzweiflung, Angst, Schuldgefühle, Scham – beim wöchentlichen Treff der Karlsruher Selbsthilfegruppe für Eltern von drogengefährdeten und abhängigen Söhnen und Töchtern (EL-dro-ST) fallen immer wieder diese Worte. Einige haben das Schlimmste schon hinter sich. Andere stehen erst am Anfang.

Jeder hat seine eigene Geschichte

Zwölf Mütter und Väter sind an diesem heißen Sommerabend in das Hinterhaus in Karlsruhes Südstadt gekommen, ganz nah am Drogen- und Alkohol-Hotspot der Stadt, dem Werderplatz. «Jeder hat seine eigene Geschichte, doch jeder hat dasselbe Problem», sagt Vereinsvorsitzende Bettina Konstandin. Wie umgehen mit einem abhängigen Kind, dessen Gedanken nur noch um die Droge kreisen? Seit 42 Jahren bietet EL-dro-ST betroffenen Angehörigen die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch, Hilfe und Tipps.

Meist sind es Drogen wie Cannabis, Amphetamine, Kokain oder Heroin, die das Familienleben aus den Fugen geraten lassen – oft in Kombination mit Alkohol und psychischen Problemen. Eltern durchleben ein Wechselbad der Gefühle und sind schnell am Ende ihrer Kraft, weiß Konstandin aus eigener Erfahrung.

Ihr Sohn Felix kommt als Lehrling in Kontakt mit Marihuana. Nach einem traumatischen Urlaubserlebnis kifft er täglich. Später wird eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert. «Und das vermeintlich helfende Marihuana macht es mit jedem Mal Kiffen schlimmer», berichtet sie. Die nächsten Jahre sind geprägt von Aufs und Abs, Klinikaufenthalten, Entgiftungen, Rehas, Rückfällen, Aggression und Eskalation. Die Eltern greifen schließlich zum letzten Mittel: Sie werfen den Sohn raus und signalisieren: «In der Sucht bist du einsam, aus der Sucht begleiten wir dich gemeinsam.» Felix ist jetzt 32, Alkohol hat die Drogen abgelöst. «Am Ziel ist er noch lange nicht», sagt seine Mutter. «Aber er kommt einigermaßen klar.»

Eltern berichten von Ausrastern und Gewalt

In der Gruppe kennt man solche Geschichten. Da ist die Frau, deren 17-jährige Tochter seit zwei Jahren Cannabis konsumiert und nicht weiß, wie sie mit deren Angstzuständen und extremer Aggressivität umgehen soll. Von Ausrastern und Gewalt berichtet auch die Mutter eines 21-jährigen Cannabis-Süchtigen. Hier kann sie davon erzählen, «auch wenn es noch so monströs ist». Ähnlich geht es der Mutter, deren 27-jähriger Sohn seit der Pubertät Drogen nimmt, teils im Wald lebte und ihr zufolge durch Cannabis psychotisch wurde. Sie sagt: «Ich habe gelernt, keine Erwartungen zu haben – es ist sein Weg.»

Andere, deren Kinder seit geraumer Zeit drogenfrei sind, machen Mut. «Mein Sohn ist schon lange volljährig, aber erst jetzt erwachsen», sagt eine ehemalige Bauingenieurin über den heute 40-Jährigen. Mit Kärtchen in Rot, Orange und Grün deuten die Eltern ihre momentane Verfassung an. In der Mitte des Raums sitzt Plüschtier Hugo auf der «Tränenbox». Es ist ein Symbol, erklärt Konstandin: «Bei uns darf gelacht und geweint werden.»

Sein Kind akzeptieren, wie es ist, aber Grenzen setzen und auf sich selbst achten. Das ist das Ziel. «Loslassen, nicht Fallenlassen», lautet das Motto. Doch wie macht man das? «Es gibt keine Anleitung dafür», sagt eine Mutter etwas ratlos.

Fast alle Söhne und Töchter der hier versammelten Eltern haben mit Cannabis angefangen oder leiden an den Folgen von teils langem Konsum. Und da plant die Politik demnächst eine Legalisierung von Cannabis? Dafür gibt es in der Runde kaum Verständnis. «Entkriminalisierung ja, aber keine Legalisierung.» Das wäre aus Sicht von Konstandin angebracht.

Hälfte der 18- bis 25-Jährigen hat Cannabiserfahrung

Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Deutschland. 2021 hatte die Hälfte der 18- bis 25-Jährigen damit Konsumerfahrung. «Es ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen», so Dorothea Aschke von der Landesstelle für Suchtfragen. Der Verband spricht sich für eine regulierte Abgabe für über 21-Jährige aus. Aber nur, weil das Verdrängen in die Illegalität die Ausbreitung des Konsums nicht verhindert habe. «Cannabis ist nicht harmlos. Ziel muss es weiterhin sein, den Konsum so gering wie möglich zu halten», betont die Sucht-Expertin.

Das sieht man auch im baden-württembergischen Sozialministerium so, wo man vor allem die negativen Folgen psychoaktiver Substanzen auf Jugendliche im Blick hat. Cannabis solle per Gesetz reguliert werden, um Erwachsenen Zugang zu einem sauberen Produkt zu gewährleisten und negative Folgen der Kriminalisierung von Konsumenten zu beseitigen.

Initiativen wie EL-dro-ST sind aus Sicht des Ministeriums wichtig, weil Angehörige indirekt immer von Sucht «mitbetroffen» sind und die Arbeit der Suchtberater und Fachkliniken stabilisieren können.

Eltern suchtkranker Kinder leben dabei stets mit der Rückfallgefahr. Beim EL-dro-ST-Treff fehlt der Vater der 23-jährigen Livia, die mit 17 Jahren von Heroin abhängig wurde. Sie musste kurzfristig zur Krisenintervention in eine Drogenrehabilitationsklinik. «Leider ist das so mit den süchtigen Kindern, es ist ein ständiges Auf und Ab», entschuldigt der Vater vorab sein Fernbleiben. In der Gruppe lernt man, sich über kleine Schritte zu freuen – dazu gehört etwa ein gemeinsames Essen mit dem Sohn. Das ist für ein Elternpaar an diesem Abend schon Grund genug, um die grüne Karte hoch zu halten.

Von Susanne Kupke, dpa