«Wie lange bleibt Ihr noch?», lautet die häufigste Frage, um die sich Gespräche unter Deutschen und anderen Ausländern in China heute drehen. Seit Beginn der Pandemie vor knapp drei Jahren hat ein Exodus eingesetzt: Die Zahl der ausländischen Manager und Fachkräfte in der zweitgrößten Volkswirtschaft soll sich nach groben Schätzungen mehr als halbiert haben.
Es waren einmal 850.000 Ausländer in China. Wie viele es heute noch gibt, weiß keiner genau. Deutsche Firmen haben laut einer Umfrage der Handelskammer (AHK) ein Viertel ihrer ausländischen Mitarbeiter verloren. War ein Job in China früher ein Karrieresprung, lassen sich die Stellen heute auch nur noch schwer nachbesetzen.
Die Null-Covid-Strategie, wiederholte Lockdowns, ständige Überwachung und die Abschottung des Landes vom Ausland haben die Lebensqualität sinken und das Risiko steigen lassen, in Chinas Corona-Mühlen zu geraten. Geopolitische Spannungen, Abkopplung, Verfolgung von Minderheiten, Unterdrückung in Hongkong und Säbelrasseln gegenüber Taiwan haben zudem Chinas Ansehen in den Keller sacken lassen. Die Zahl der Deutschen, die eine schlechte Meinung von China haben, hat sich seit 2005 auf 74 Prozent verdoppelt, wie Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Pew ergaben.
Ein möglicher Lockdown ist immer im Hinterkopf
Während der Rest der Welt lernt, mit dem Virus zu leben, demonstriert China unbeirrt Null-Toleranz. Einreisende müssen sieben Tage in Hotelquarantäne plus drei Tage in häusliche Isolation, was örtlich eher willkürlich gehandhabt wird. Es gibt nur wenig Flüge. Ein einfaches Ticket von Frankfurt nach Peking kostet heute mehr als 2000 Euro. «Die Reisebeschränkungen nach China und innerhalb des Landes sind weiterhin sehr hinderlich, um ausländische Mitarbeiter zu halten oder zu gewinnen», sagt Jens Hildebrandt, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der deutschen Handelskammer (AHK) in China.
Obwohl Lockerungen zu erwarten seien, gebe es «wenig Aussicht» auf eine grundlegende Abkehr vom Null-Covid-Ziel. «Das Risiko weiterer Lockdowns schwebt wie ein Damoklesschwert über allem», sagt Hildebrandt. «Schreckensszenarien wie der zweieinhalbmonatige Lockdown Shanghais ist in den Köpfen vieler Ausländer.» Dazu komme das zunehmend negative Image Chinas in Deutschland in schwierigen geopolitischen Zeiten. Kurz gesagt: Das Halten und Entsenden von Fach- und Führungskräften nach China sei ein schwieriges Geschäft geworden.
Wo alle weg wollen, will eben auch keiner mehr hin. «Deutsche Unternehmen müssen tief in die Tasche greifen, um die gegenwärtigen Nachteile des Standorts China aufzuwiegen», sagt Hildebrandt. «Viele tun das auch.» Deutsche Unternehmen besetzen schon seit langem Schlüsselpositionen in China mit einheimischen Mitarbeitern. «Diejenigen Unternehmen, die früh in die Aus- und Fortbildung lokaler Mitarbeiter investiert haben, sind kurzfristig weniger betroffen.»
Dass die Corona-App auf dem Handy jeden Schritt bestimmt, beeinträchtigt für viele entsandte Deutsche und andere Ausländer in China das Lebensgefühl. Wer an Eingängen keinen negativen PCR-Test innerhalb von 72-Stunden nachweisen kann, kommt vielfach nicht mal mehr in seine eigene Wohnung, geschweige denn in den Supermarkt oder ins Restaurant. Jeder muss sich einscannen: Totale Kontrolle und Kontaktverfolgung. Gibt es irgendwo einen Corona-Fall, werden ganze Nachbarschaften dicht gemacht. Wird jemand als potenzielle Kontaktperson identifiziert, wird Quarantäne angeordnet.
Nur noch bestimmte Mitarbeiter gehen nach China
«Die Gefahr war mir einfach zu groß», schildert eine Hamburgerin, die vor Ablauf des Vertrages ihres Mannes allein mit der siebenjährigen Tochter vorzeitig nach Deutschland ausgereist ist. Wäre die Tochter positiv getestet worden, hätte sie in Krankenhaus-Quarantäne gehen müssen. Wurden früher selbst kleine Kinder von den Eltern getrennt, was traumatische Erfahrungen auslösen kann, hat die deutsche Botschaft inzwischen durchsetzen können, dass heute zumindest ein Elternteil mit darf.
Die Gefahr, in die Covid-Maschinerie zu geraten, ist so groß, dass die EU-Handelskammer in ihrem jüngsten Positionspapier schreibt: «Unternehmen fragen sich sogar, ob es verantwortlich für sie ist, ausländische Mitarbeiter in China zu stationieren, wenn zahlreiche Beschränkungen bedeuten, dass sie nicht in der Lage sind, grundlegende Sorgfaltspflichten für diese und ihre Familien zu garantieren.» Unternehmen beschränkten sich deswegen auf Mitarbeiter, die jung seien und keine Familie hätten – oder auf Ältere, deren Kinder erwachsen seien. Das schränke die Wahlmöglichkeiten stark ein.
Der Exodus ist spürbar. Im Pekinger Straßenbild gibt es weniger ausländische Gesichter. In der Kneipe «Great Leap», die unter «Expats» wegen Craftbier, Hamburger und Pizza beliebt ist, hocken an einem Samstagmittag gerade mal zwei Paare, wo früher nur schwer ein Platz zu bekommen war. Auch in den Ausländersiedlungen vor den Toren der Hauptstadt wird es einsam. Friseuse Cindy, die im Clubhaus einer Wohnanlage seit langem ausländischen Kunden die Haare schneidet, klagt: «Ich habe vielleicht noch 20 Prozent des früheren Geschäfts.» Ihr Salon steht heute meist leer. «Alle wollen weg.»
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