Beschimpfungen, Erniedrigungen, systematisches Ausgrenzen: Mehr als die Hälfte der Lehrkräfte in Deutschland (56 Prozent) sieht nach der Pandemie eine Zunahme psychischer Gewalt unter Schülerinnen und Schülern. Das zeigt eine Umfrage, die Forsa im Auftrag der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) durchgeführt hat. 44 Prozent nehmen auch eine Zunahme körperlicher Gewalt wahr.
Das eigene Kind vor Gewalt an der Schule zu bewahren, ist für Eltern also nicht immer möglich. Der Schock, wenn der Nachwuchs psychische oder physische Gewalt erlebt, ist aber in jedem Fall groß. Weil sie das Beste für ihr Kind wollen, denken einige auch über rechtliche Schritte nach. Aber was ist möglich, was sinnvoll? Antworten auf wichtige Fragen.
Welche Versicherung ist bei einem Gewaltvorfall zuständig?
Alle Schülerinnen und Schüler sind während der Schulzeit, bei Schulveranstaltungen sowie auf dem Schulweg gesetzlich unfallversichert, erklärt Sebastian Stammsen, stellvertretender Leiter des DGUV-Fachbereichs Bildungseinrichtungen von der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen. Sind Schülerinnen und Schüler von einem Gewaltvorfall betroffen – weil sie zum Beispiel Verletzungen erlitten haben – handelt es sich um einen Versicherungsfall. Die Unfallversicherung erbringt in solchen Fällen Leistungen.
Die Meldung eines Versicherungsfalls erfolgt in der Regel von der Schule an den zuständigen Unfallversicherungsträger. Eltern müssen Stammsen zufolge keine zusätzlichen Schritte unternehmen, es sei denn, sie erfahren von einem Vorfall, von dem die Schule noch nichts weiß.
Ist es sinnvoll, dass Eltern sich rechtliche Unterstützung holen?
Das kommt sehr auf die Umstände des einzelnen Vorfalls an. Ist eine Situation besonders belastend und schwerwiegend, «kann es zur Wahrung der eigenen Rechte sinnvoll sein, sich anwaltliche Hilfe zu suchen», so Beate Schulte zu Sodingen, die als Rechtsanwältin auf die Themen Kita und Schule spezialisiert ist.
Sofern möglich, sollten vorher aber die schulinternen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Eltern sollten also zuerst Kontakt zur Klassen- und Schulleitung, zu Vertrauenslehrern und anderen involvierten Personen aufnehmen, lautet die Empfehlung der Anwältin.
Wo das keinen Erfolg hat, rät Schulte zu Sodingen sich an das jeweilige Schulamt beziehungsweise die zuständige Schulaufsicht oder den schulpsychologischen Dienst zu wenden – unter Umständen auch mit anwaltlicher Unterstützung. In vielen Fällen reicht nach Einschätzung der Fachanwältin aber bereits aus, wenn der schulinterne Mechanismus zur Aufarbeitung ausgelöst wird.
Schulen trifft eine Fürsorgepflicht, im Rahmen derer sie zum Beispiel auf Mobbing reagieren müssen – das reicht etwa von Gesprächen mit dem mobbenden Schüler bis hin zu Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen, die in den Schulgesetzen der Länder geregelt sind. Dazu gehört dann zum Beispiel, dass Schülerinnen oder Schüler vom Unterricht ausgeschlossen werden oder in schwerwiegenden Fällen gar der Schule verwiesen werden.
Darf mein Kind zu Hause bleiben, wenn es Gewalt erlebt hat und die Schule nicht ausreichend reagiert?
In Deutschland besteht eine allgemeine Schulpflicht. «Dennoch müssen Kinder, denen in der Schule Gewalt droht, selbstverständlich nicht in die Schule gehen mit dem Risiko, dass sie in ihren Rechten verletzt werden», so Beate Schulte zu Sodingen. Ganz praktisch läuft es hier oft auf Krankschreibungen oder Absprachen zwischen Lehrkraft und Eltern sowie Schülern hinaus.
Kann mein Kind die Schule oder die Klasse wechseln?
Einen gesetzlichen Anspruch auf einen Schul- oder Klassenwechsel gibt es nicht. Die Möglichkeit besteht jedoch – sei aber von den Kapazitäten abhängig, so die Rechtsanwältin. «Schulamt und die jeweiligen betroffenen Schulen sollten in das Verfahren von Beginn an eingebunden werden, da Gewalt und Mobbing durch Mitschüler klassischerweise schwerwiegende Gründe für die Begründung eines Antrags auf einen Schulwechsel darstellen», sagt Schulte zu Sodingen. Wie genau ein Schulwechsel abläuft, hängt immer von den jeweiligen landesrechtlichen Bestimmungen ab.
Thema Prävention: Worauf können Eltern achten?
Sebastian Stammsen rät Eltern, sich schon vorab ein Bild zu machen: Wie sind Klima und Kultur an der Schule? Das richtige Schulklima sei nicht nur einer der wichtigsten Faktoren der Gewaltprävention, sondern schaffe auch die Grundlage für einen guten Umgang miteinander, für Gesundheit und Lernerfolg.
Eltern können sich zum Beispiel auf der Internetseite der Schule aktiv dazu informieren, mit welchen Mitteln die Schulkultur gefördert wird. «Da sind ja häufig schon kleine Maßnahmen, die große Wirkung haben», so Stammsen. Etwa eine Einführungswoche für die Eingangsklassen oder klare Regeln zum alltäglichen Umgang miteinander.
Ein Hinweis, dass das Thema Gewaltprävention einen wichtigen Stellenwert hat, kann für Eltern nicht zuletzt ein schulisches Krisenteam sein – das sich mit Gewaltprävention und der Bewältigung von Krisen beschäftigt.
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