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Liebe im Alter: Wie man sich wieder mehr zu sagen hat

Draußen unterwegs: Gemeinsame Unternehmungen schaffen Gesprächsstoff - vor allem dann, wenn sie die Alltagsroutinen durchbrechen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Benjamin Nolte/dpa-tmn)

Aufstehen, frühstücken, kurz ein Rezept vom Arzt abholen, einkaufen gehen – und das im Doppelpack: Viele ältere Paare verbringen 24 Stunden am Tag miteinander, einige auf engem Raum in kleinen Wohnungen. Trotz der räumlichen Nähe stellt sich dann manchmal ein Gefühl von Distanz an. Und vielleicht pikst wieder und wieder die Erkenntnis: Wir haben uns kaum noch etwas zu erzählen. 

«Da wird dann oft auch auf die Lautsprechertaste gedrückt, wenn man telefoniert, sodass man sich selbst aus Telefonaten nichts Neues zu erzählen hat», sagt Prof. Michael Vogt. Er forscht an der Hochschule Coburg zu Partnerschaft im Alter. Oder beim Arzttermin kommt der andere mit ins Behandlungszimmer. «Dieses permanente Mithören ist etwas, das die Beziehung stark sättigt», sagt Vogt, der selbst auch Paare berät. 

Dass Partnerschaften sich mit zunehmendem Alter in diese Richtung entwickeln, das ist dem Wissenschaftler zufolge keine Seltenheit. Es gibt Gründe dafür: Mit zunehmendem Alter brechen immer mehr Sozialkontakte weg, «Freundinnen und Freunde sterben, Kinder wohnen weit entfernt», sagt Vogt. 

Vielleicht hat sich der Radius, in dem sich das Leben abspielt, aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen verkleinert. Reisen, Ausflüge, Theaterbesuche sind komplizierter geworden. So ergeben sich immer weniger neue Impulse von außen, wenn Paare es nicht aktiv darauf anlegen. Das führt zu dem Gefühl, sich wenig zu erzählen zu haben. 

Gespräche über Heizöl, nicht über Gefühle

Außerdem verengt sich bei Paaren, die schon viele Jahre ihr Leben miteinander teilen, die Kommunikation oft auf den funktionalen Aspekt, so Michael Vogt. Das heißt: Sie sprechen vor allem über die Organisation des Alltags. Wer kauft den nächsten Kasten Wasser? Was wollen wir am Wochenende kochen? Haben wir Heizöl bestellt?

Das sind Gesprächsthemen, die mit der eigenen Innenwelt, also Bedürfnissen, Emotionen, Wünschen, wenig zu tun haben. Doch genau der regelmäßige Austausch darüber ist wichtig, wie der Ehe- und Paarberater sagt. 

Und wenn man nun den Gedanken hat: «Aber ich kenne meinen Mann doch in- und auswendig, ich weiß doch, wie er denkt und fühlt!»? Das kann sogar Teil des Problems sein. «Eine der großen Schwierigkeiten in der Kommunikation ist, dass ich bestimmte Fragen nicht mehr stelle, weil ich meine, die Antwort im Voraus zu kennen», sagt Michael Vogt. Auch dadurch kann die emotionale Kommunikation zum Erliegen kommen – und das Gefühl, sich nichts zu erzählen zu haben, an Macht gewinnen. 

Eine wöchentliche Verabredung

Für Paare, die sich darin wiedererkennen, hat Dorothee Döring eine gute Nachricht: «Es gibt Möglichkeiten, wie man eine Beziehung am Laufen und im Gespräch halten kann», sagt die Pädagogin und Kommunikationsberaterin. Allerdings geht das nicht ganz ohne Arbeit: «Man muss sich füreinander interessieren, eine gewisse Disziplin an den Tag legen, immer wieder Gespräche zu eröffnen – und sich in das einfühlen, was dem anderen wichtig ist.»

Wie stellt man das konkret an? Döring schlägt dafür das Konzept der Zwiegespräche vor. Entwickelt hat es der Psychotherapeut Michael Lukas Moeller in den 1980er-Jahren. Es ist eine Anleitung, der Paare folgen können, um bessere Gespräche zu führen, und beginnt damit, dass sie einen festen Termin in der Woche vereinbaren. Das können anderthalb Stunden sein, man kann aber auch mit 15 Minuten einsteigen. «Die Zeit reserviert man füreinander und redet über Dinge, die einen in den letzten Tagen bewegt, geärgert, frustriert oder gefreut haben», sagt Döring.

Michael Vogt nennt eine Frage, mit der Paare ein Gespräch eröffnen können: «Wie geht es dir mit mir?» Diese Fragestellung habe einen anderen Akzent, als wenn man aus seinem Fundus von Enttäuschungen erzähle. «Es geht um echtes Interesse an einer Rückmeldung», sagt Vogt.

Die Kunst des Zuhörens

Apropos Enttäuschung: In solchen Zwiegesprächen formulieren Partner ihre Botschaften am besten aus der Ich-Perspektive. Denn in Du-Botschaften schleichen sich schnell Vorwürfe. «Außerdem wichtig: Bezug nehmen auf das, was der andere gerade gesagt hat – und nicht bloß darauf warten, dass ich eine Lücke bekomme, wo ich meine Gedanken unterbringe. Sonst hat man zwei Monologe und kein echtes Gespräch», sagt Dorothee Döring. 

Dafür müssen sich Partner im Zuhören üben. Und dazu gehört auch, zu akzeptieren, dass nicht jeder Mensch so kommuniziert wie man selbst. Der eine kann seine Gedanken strukturiert in Worte fassen, der anderen fällt es vielleicht schwer, auf den Punkt zu kommen. 

Regelmäßige Gespräche zu etablieren, die über die Alltagsorganisation hinausgehen – das ist anstrengend. Die Arbeit lohnt sich aber: «So bekommt man eine ganz andere Wahrnehmung füreinander, geht achtsamer miteinander um», sagt Döring. So kann die Beziehung wieder aufblühen, es entsteht Nähe. 

Warum Hobbys und Freundschaften so wichtig sind

Was neben guten Gesprächen Nähe bringt – auch wenn es erst einmal widersprüchlich klingt: Abstand. Und zwar in dem Sinne, dass jeder der beiden Partner Lebensbereiche nur für sich pflegt – ob es nun ein Hobby, ein Ehrenamt, ein Sportkurs, eine Freundschaft ist. Dort sammelt man neue Erfahrungen, dort bekommt man Rückmeldung von anderen. «Und das spielt man dann wieder zurück in die Beziehung», sagt Michael Vogt. 

Diese neuen Impulse können im Kleinen sogar in den eigenen vier Wänden passieren. «Das kann auch ein Austausch über Bücher oder Filme sein», sagt Vogt. «Aber nicht über das, was ich da gelesen oder gesehen habe, sondern, wie es mir damit ergangen ist, welche Gedanken und Gefühle hochgekommen sind.» Auch hier das Stichwort: emotionale Kommunikation. 

Eine Frage der Balance

Was ebenfalls wieder Nähe schafft: an einer gemeinsamen Zukunftsperspektive arbeiten. «Nur weil Menschen älter werden, haben sie ja nicht aufgehört, nach vorn zu schauen, was das Leben noch bringen soll», sagt Michael Vogt. 

Das muss gar kein Plan für die nächsten fünf Jahre sein. Es reicht, auf die kommenden Monate zu blicken und darüber zu sprechen: Was möchten wir uns gemeinsam vornehmen? Am Ende steht vielleicht das Vorhaben, mal wieder ins Theater zu gehen, auf eine Tanzveranstaltung oder sogar eine kleine Reise zu unternehmen. Also Pläne, die die Routinen des Alltags aufbrechen und gemeinsame Erlebnisse und Erinnerungen schaffen. Und damit auch wieder Gesprächsstoff.

Am Ende geht es um eine Balance aus Individualität und Partnerschaft, fasst Michael Vogt zusammen. Neben Intimität, Sexualität und gemeinsamen Zielen und Werten ist das nämliche eine der vier Säulen, auf der eine gute Partnerschaft steht. Und dabei gilt: offen für den anderen bleiben. «Wenn man emotional Anteil nimmt am anderen – dann hat man immer genug Gesprächsthemen», sagt Dorothee Döring.

Von Ricarda Dieckmann, dpa