Mehr als ein Viertel der 25-jährigen in Deutschland, nämlich 28 Prozent, hat im Jahr 2020 noch bei den Eltern gelebt. Vor allem die Söhne ließen sich mit dem Auszug etwas mehr Zeit, wie das Statistische Bundesamt mitteilte.
So lebten 35 Prozent von ihnen noch im elterlichen Haushalt, während es bei den Töchtern im Alter von 25 Jahren nur gut jede fünfte (21 Prozent) war.
Der Unterschied zwischen den Geschlechtern bleibt demnach auch später bestehen. Mit 30 Jahren wohnten immerhin noch 13 Prozent der Männer als lediges Kind mit im Elternhaushalt, jedoch nur sechs Prozent der Frauen. Im Alter zwischen 30 und 40 Jahren reduzieren sich diese Anteile noch einmal deutlich: Mit 40 Jahren wohnten nur noch vier Prozent der Männer und rund zwei Prozent der Frauen bei den Eltern.
Männer in traditioneller Männerrolle gefangen
«Die jungen Frauen sind insgesamt agiler, moderner, offener in ihren Vorstellungen», sagte der Jugendforscher Klaus Hurrelmann zu einer möglichen Erklärung. «Vieles deutet darauf hin, dass die jungen Männer eher in einer traditionellen Männerrolle gefangen sind, die sie ein bisschen träge macht – vor allem, wenn sie sehr lange im Elternhaus bleiben.» Bei jungen Frauen hingegen könnten klassische Rollenerwartungen und mehr Pflichten im Familienhaushalt eher dazu beitragen, schneller flügge zu werden – nach dem Motto: In der eigenen Wohnung muss ich nur den eigenen Abwasch machen.
Unterschiede gibt es auch zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gebieten ist der Anteil der 20- bis 25-Jährigen, die noch bei den Eltern leben, deutlich höher als in den Städten: So wohnten in Niedersachsen noch 47 Prozent dieser Altersgruppe im elterlichen Heim. Im angrenzenden Hamburg waren es 32 Prozent. In den östlichen Bundesländern fiel das Ergebnis ähnlich aus: In Brandenburg lag der Anteil bei 47 Prozent, in Berlin bei 36 Prozent.
Die Zahlen des Bundesamtes unterscheiden sich nicht wesentlich von denen der Vorjahres. Allerdings stammten die Statistik-Daten für 2020 aus dem Mikrozensus, der 2020 neu gestaltet wurde. Die Ergebnisse seien mit den Vorjahren nur eingeschränkt vergleichbar, hieß es.
Räumliche Loslösung ist nicht alles
Jugendforscher Hurrelmann blickt nicht nur auf die reinen Zahlen der bei den Eltern wohnenden jungen Erwachsenen. Ablösung von den Eltern und selbstständig zu werden zeige sich nicht nur mit dem Umzug junger Erwachsener in eine eigene Wohnung oder ein WG-Zimmer, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Neben der räumlichen Loslösung gebe es die emotionale und soziale – und da hätten sich die Umstände in der Corona-Pandemie stark verändert.
«Andere Aspekte, wie einen neuen Freundeskreis zu gewinnen, Beziehungen einzugehen, von denen die Eltern nichts wissen – da haben sich Verschiebungen ergeben», analysiert er. «Man sitzt halt mit den Eltern in der Wohnung und vor allem während der Lockdown-Phase hatte man keine Chance, etwas zu machen, was die Eltern nicht mitkriegen.»
Besonders betroffen seien Studenten, die im Jahr 2019 wohl noch ganz andere Vorstellungen gehabt hätten, so Hurrelmann. Viele wohnten zwar noch zu Hause, seien aber von einem ganz anderen Lebensmodell ausgegangen: «Die Idee, ich lebe im wesentlichen außerhalb mit Uni und Freunden und nutze das Kinderzimmer als Basisstation zum Schlafen, Essen, Wäschewaschen – das ist vorbei.» Aus dem Zweckwohnen im Elternhaus sei wieder ein soziales Wohnen geworden, ganz besonders in der Lockdown-Phase.
Neuer Lebensabschnitt muss warten
«Ihre Chance, in einen neuen Lebensabschnitt einzutauchen, ist blockiert» sagt Hurrelmann über diese Studentengeneration. «Wenn da noch ein Jahr draus wird, dann haben Studienanfänger fast drei Jahre keinen richtigen Uni-Betrieb und vor allem nicht den Kontakt zu Gleichaltrigen, dann wird es ernst – dann haben wir junge Leute, die unausgeruht sind, unzufrieden, die den entscheidenden Schritt nicht gemacht haben, den sie gehen wollten.»
Dass mehr als ein Viertel der jungen Erwachsenen auch unabhängig von der Pandemie keine Eile mit dem Auszug aus der elterlichen Wohnung hat, liegt Hurrelmann zufolge auch an mehr Toleranz der Eltern im Vergleich zu früheren Generationskonflikten. «Das Einvernehmen zwischen den Eltern und den jungen Erwachsenen Kinder ist groß, man hat einander gegenüber eine hohe Toleranz», sagte er. «Deswegen wohnt man auch so lange zusammen, ohne dass es knirscht und ohne dass es dramatisch zu Konflikten kommt.»
Vorteile habe diese Lebenssituation wohl auch für die Elterngeneration, neben den finanziellen Gründen. «Sie kriegen mit, wie das heutige Leben aussieht, vor allem im digitalen Bereich» so Hurrelmann. Das könne eine regelrechte Lebensstilberatung durch den erwachsen gewordenen Nachwuchs sein.
Dennoch, so wie jetzt haben sich die Generationen das Zusammenleben wohl kaum vorgestellt. Kommt nach Pandemie der große Ausbruch? «Sollte die Pandemie mit einem Schlag vorbei sein, gibt es sicher einen großen Freiheitsboost», vermutete Hurrelmann. Allerdings sehe es derzeit nicht danach aus. «Das heißt, auch in den nächsten Jahren werden Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Das hinterlässt Spuren.» Er fürchte deshalb eine «psychische Begleitwelle von Corona, sollte noch so ein hartes Jahr kommen».
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