«Wandern ist das neue Clubbing.» Die überraschende Auferstehung des alten Trendsports bewegt den Sprecher von Visit Berlin, Christian Tänzler, zu dieser Aussage. Wanderer ist aber nicht gleich Wanderer. Es gibt Unterschiede, warum sich Menschen auf den Weg machen. Eine Typologie ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
NATURWANDERER: Raus aus der Stadt, rein in die Wildnis: Mittlerweile würden 95 Prozent der Befragten «Natur erleben» als Hauptgrund für das Wandern angeben, sagt Klaus Erber, Vorsitzender des Deutschen Wanderinstituts. Der Zusammenschluss von Wanderexperten führt Befragungen durch und zeichnet Wanderrouten als Premium-Wege aus. Ist es wirklich allein das Coronavirus, das die Menschen wieder verstärkt durch Wälder, Mittelgebirge und Almwiesen marschieren lässt? Nein, sagt der studierte Geograf Erber. Er beobachtet bereits seit mehr als zehn Jahren, dass «Genusswandern» beliebter wird.
Auch Zahlen belegen das: Gaben 2020 noch zehn Prozent an, «häufig» wandern zu gehen, sind es in einer aktuellen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach schon 12 Prozent. Befragt wurde zwischen Sommer 2020 und Frühjahr 2021 ein repräsentativer Anteil der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren in der Bundesrepublik. 46,3 Prozent bewegen sich demnach «ab und zu» in der Natur (2020: 45 Prozent). 41,7 Prozent gaben an, «nie» wandern zu gehen (2020: 45 Prozent). Für das beliebter werdende Hobby stehen laut Deutschem Wanderverband etwa 200 000 Kilometer an Wanderwegen in Deutschland zur Verfügung.
Der Durchschnittswanderer hat sich im Laufe der Zeit alterstechnisch verändert – «von 60 plus vor 20 Jahren auf jetzt etwa 47 Jahre», wie Erber erklärt. Ein Grund sei der größere Anteil von Familien mit Kindern, die in die Natur drängen. Dass der Trend nach Corona abflaut, glaubt der Geograf nicht: «Durch die positiven Erfahrungen wird ein großer Teil bleiben.»
SPORTWANDERER: Im Gegensatz zum Genuss- oder Naturwanderer hat der Sportwanderer ein ambitioniertes Ziel. «Ihm geht es darum, Kilometer zu machen», erklärt Erber. Der Lohn dafür können etwa Abzeichen für absolvierte Strecken sein. Oft sind Sportwanderer in Verbänden organisiert und dadurch in Gruppen unterwegs, mitunter sind sie aber auch Einzelkämpfer.
Beispiele dafür sind der Ex-Musiker und Extremsportler Joey Kelly, der Deutschland in knapp 18 Tagen zu Fuß durchquert hat – von Wilhelmshaven bis auf die Zugspitze. Ein weiterer Extremwanderer nennt sich «Brocken-Benno»: Benno Schmidt aus Wernigerode hat den Brocken, Norddeutschlands höchsten Berg, nach eigenen Angaben bislang fast 9000 Mal erklommen. An seinem 89. Geburtstag im Mai 2021 musste er wegen seiner Krebserkrankung aussetzen. Der Sportwanderer: «Den 90. will ich auf jeden Fall wieder auf dem Brocken begehen.»
NACKTWANDERER: Sie wandern wie Gott sie schuf. In einem abgelegenen Waldstück im Südharz werden andere Wanderer deshalb vorab mit einem Schild gewarnt. Darauf steht: «Willst du keinen Nackten sehen, darfst du hier nicht weitergehen.» Dahinter befindet sich der 2010 eröffnete «Harzer Naturistenstieg», der erste Nacktwanderweg Deutschlands. Solange es die Temperaturen zulassen, sind hier Nudisten auf einer Länge von 14 Kilometern unterwegs. Im Gegensatz zum Barfußläufer verzichten Nacktwanderer dabei nicht aufs Schuhwerk.
Übrigens: Wer sich nicht auf einem ausgewiesenen Nacktwanderweg – neben dem Harz etwa in der Lüneburger Heide – befindet, kann belangt werden. Darauf weist der Deutsche Anwaltverein (DAV) hin. In der Regel gelte aber: Je weiter weg ein Nudist von der Allgemeinheit wandert, desto weniger muss er mit Folgen rechnen.
KULTURWANDERER: Hier wird Lernen mit der Natur verbunden. Der Kulturwanderer will sich auf den Spuren etwa von historischen Klosterruinen nicht nur bewegen, sondern auch Wissen aneignen. «In vielen deutschen Großstädten führen ausgewiesene Routen auf verschlungenen Pfaden durch grüne Oasen und zu unerwarteten Orten», beschreibt der Deutsche Wanderverband die Kombination aus Stadt- und Naturerleben.
Wegen der hohen Nachfrage hat das Deutsche Wanderinstitut bei den mehr als 600 für Europa zertifizierten Premium-Wanderwegen zwei Stadtwanderwege aufgenommen. Wichtig bei den Strecken «Tecklenburger Romantik» (6,2 km in Nordrhein-Westfalen) und «Frankenberger Blickwinkel» (9,2 km in Hessen): dass die «Wegedramaturgie in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen städtischen und Naturerlebnissen» sei, heißt es im Datenblatt des Wanderinstituts.
NACHTWANDERER: Es ist aufregend und gruselig zugleich. «Auch, wenn man den Weg schon kennt. Nachts kann man ihn noch mal anders erleben», sagt Experte Erber. In der Regel werden Nachtwanderungen von einem Ortskundigen geführt. Das heißt: Die Teilnehmenden lernen etwas dabei. Klaus Erber vergleicht deshalb die nächtliche Begehung mit anderen lehrreichen Wanderungen – wie Wein- oder Pilzwanderung.
Für Nachtaktive gibt es spezielle Angebote: Im Harz können Interessierte mit einem sogenannten Bat-Detektor auf Fledermauspirsch gehen. Mit dem Instrument werden die Laute der Tiere für den Menschen wahrnehmbar gemacht. Wer es dagegen romantisch mag, kann auch zur Vollmondwanderung aufbrechen – etwa in der Lüneburger Heide.
PILGERWANDERER: Sozusagen der Langstreckenläufer unter den Wanderern: Erber bezeichnet Pilgern deshalb als «Hardcore-Wandern». Grund für die Wanderung ist meist ein spirituelles Motiv.
Der Jakobsweg als eine der berühmtesten Pilgerstrecken führt zum nordwestspanischen Wallfahrtsort Santiago de Compostela. Meist wird nur in Teilstrecken wie in Nordspanien ab den Pyrenäen gewandert. Vorbild ist für manche der TV-Entertainer Hape Kerkeling, der über seine Erfahrungen ein Buch geschrieben hat («Ich bin dann mal weg»), das auch verfilmt wurde. Auch spirituell, aber anders, ist der 6000 Kilometer lange Jizoweg, der entlang buddhistischer Zentren in Europa führt.
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