3. Dezember 2024

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Tipps vom Unfallforscher für einen sichereren Schulweg

Tipps vom Unfallforscher für einen sichereren Schulweg

An die Hand genommen: Eltern üben den Schulweg mit dem Nachwuchs natürlich mehrfach, bevor die Kleinen ihn erstmals alleine zurücklegen können. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christin Klose/dpa-tmn)

Es ist eine Horrorvorstellung für Eltern, wenn den Kindern etwas zustoßen würde. Auch auf dem Schulweg lauern viele Gefahren. Unfallforscher Siegfried Brockmann von der Björn Steiger Stiftung erläutert im Interview, wie Eltern mit den Kindern den Schulweg gemeinsam besser und sicherer machen können.

Frage: Ab wann können Kinder den Schulweg allein gehen und wie übe ich das?

Siegfried Brockmann: «Bis vor einigen Jahren gab es dafür Standardtabellen. Davon ist man vollkommen abgekommen, weil man festgestellt hat, dass Kinder völlig unterschiedliche Entwicklungsschritte machen. Teilweise vollzieht sich das auch von einem Lebensjahr auf das andere sehr rasant. Manche bleiben auch sehr weit zurück. Deswegen kann man nur eine sehr grobe Orientierung geben.

Wir müssen uns sehr klar darüber sein, dass der Schulweg für Kinder voller Ablenkungen ist. Das kann ein weiteres Kind auf der anderen Straßenseite sein oder andere Reize, gerade in Wohngebieten. Etwa eine Katze, die das Kind gerne mal streicheln möchte und weswegen das Kind dann unbedacht über die Straße läuft. Je älter Kinder werden, umso unwahrscheinlicher wird das, aber gerade zwischen etwa sechs und acht Jahren muss man leider mit all diesen Dingen rechnen.

Dann muss ich ein sehr gutes Gefühl dafür entwickeln, wo mein Kind gerade steht. Man übt den Weg mehrfach und geht danach – um ganz sicher zu sein – zwei-, dreimal einfach nur in gewissem Abstand als Beobachter hinterher, um zu schauen, ob es funktioniert. Wenn ich danach das Gefühl habe, dass alles sehr gut aussieht, kann ich tatsächlich riskieren, mein Kind allein gehen zu lassen. 

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass auf Eltern eine sehr, sehr große Beobachtungsverantwortung zukommt. Es gibt Kinder, mit denen das geht, aber auch solche, wo ich auch nach dem fünften Mal feststelle: Das wird nichts, es ist einfach noch zu verspielt, denkt überhaupt nicht nach, was es macht oder reagiert so auf äußere Reize, dass ich immer befürchten muss, dass alles, was ich vorher trainiert habe, in dem Moment wie weggewischt ist.

Ein weiteres Problem: die Antizipation. Kinder bis zum 12., 13. 14. Lebensjahr – je nach Entwicklungsstufe, unterliegen teilweise noch dem Trugschluss, dass ein Autofahrer sie sieht, nur weil sie auch den Autofahrer sehen. Für sämtliche Grundschulkinder gilt das sogar relativ sicher.»

Frage: Wie sieht denn ein sicherer Schulweg aus?

Siegfried Brockmann: «Sicher ist immer in Anführungszeichen zu setzen. Denn überall da, wo sich Kraftfahrzeuge und Schulwege kreuzen, oder auch selbst, wenn sie parallel sind, habe ich immer eine gewisse Unsicherheit. Die resultiert daraus, dass es nicht immer nur verantwortungsvolle Autofahrer gibt, aber eben auch daraus, dass die erwähnte Antizipation bei manchen Kindern einfach noch nicht da ist.

Dann muss ich Schulwege finden, bei denen möglichst gar keine Straßen gekreuzt werden müssen. Damit meine ich nicht nur Hauptstraßen, sondern bedauerlicherweise halten sich auch in den Wohngebieten mit Tempo-30-Zonen nicht alle ans Limit und fahren schneller. Und dort habe ich fast immer parkende Fahrzeuge, die die Sicht behindern.

Kindern ist einzuschärfen, nicht einfach irgendwo über die Straße zu gehen, sondern eine hoffentlich vorhandene, sichere Querung zu nutzen – also Fußgängerüberwege, Mittelinseln und Anforderungsampeln. Letztere haben für Kinder eindeutig den Vorzug, weil da das Auto stehenbleibt, was ich am Zebrastreifen zum Beispiel nicht sicher weiß. Ich muss mit dem Kind natürlich auch üben, erst loszugehen, wenn das Fahrzeug tatsächlich steht. Solche Querungen müssen immer noch mal separat geübt werden.

Wo möglich können Eltern auch versuchen, Gemeinschaften mehrerer Kinder zu bilden, die dann auch mal oder idealerweise immer in Begleitung eines Erwachsenen den Schulweg gehen. Man soll sich durchaus nicht mit den Gegebenheiten abfinden. Wenn es keine sichere Querung gibt, eine nennenswerte Anzahl von Kindern aber eine gefährliche Straße überqueren muss, sollte man sich zusammenschließen und das bei der Kommune durchsetzen. Gleiches gilt für Geschwindigkeitsbegrenzungen und deren Durchsetzung.» 

Frage: Wie lang darf denn der Schulweg für Schulanfänger sein?

Siegfried Brockmann: «Also erst mal hängt das auch davon ab, was das für ein Kind ist. Nicht alle Kinder sind ja besonders mobil in dem Alter. Wenn das ein Kilometer ist, dann ist das mit Sicherheit machbar. Und das ist auch ungefähr die Distanz, in der viele Kinder tatsächlich ihre standortnahe Grundschule erreichen.»

Frage: Wann ist der richtige Zeitpunkt, um zur Schule zu radeln?

Siegfried Brockmann: «Die Empfehlung lautet, damit zu warten bis Kinder den sogenannten Radfahrführerschein gemacht haben. Der wird in der Regel in der vierten Klasse absolviert, gemeinsam mit der Jugendverkehrsschule oder mit den Lehrkräften. Damit haben sie die Grundvoraussetzungen dafür, sich mit dem Fahrrad auf der Straße zu bewegen.

Der Begriff Radfahrführerschein führt allerdings manchmal dazu, dass Eltern glauben, ihre Kinder könnten jetzt sicher Radfahren. Und das ist wiederum das Gefährliche an diesem Wort, weil das mitnichten der Fall ist, sondern es werden nur einige Grundfertigkeiten eingeübt.»

Frage: Ist das Elterntaxi per se schlecht?

Siegfried Brockmann: «Manche Ideologen meinen, der Schulweg mit dem Auto ist per se des Teufels, weil die Kinder ja dann weniger mobil sind, vielleicht die Straßenverkehrserziehung darunter leidet und vieles mehr. Und da sage ich: Das muss sie eben gar nicht. Ich kann auch außerhalb des Schulweges Straßenverkehrserziehung machen.

Ich mache mich immer sehr unbeliebt an dieser Stelle. Aber wenn ich feststelle, das geht allein nicht oder es ist mir zu gefährlich, muss ich als Elternteil das ohne irgendeinen ideologischen Druck entscheiden dürfen. Zumal wenn die Distanz vielleicht – gerade auf dem Land kommt das ja vor – größer ist, als das Kind mal eben zu Fuß zurücklegen kann oder kein bekannter Erwachsener als Begleitung mitgehen kann.

Das wiederum generiert ein anderes Problem, nämlich die Elterntaxi-Problematik vor manchen Schulen. Zu der muss man aber erstens sagen: Das sieht immer sehr wuselig aus, aber gravierende Unfälle finden sich in der Statistik dazu eben nicht. Und zweitens sind die Schulen und die Kommunen dann eben auch aufgefordert, die Situation vor den Schulen mit entsprechender Verkehrsregelung oder auch mit der Einrichtung von entsprechenden Haltezonen zu kanalisieren.»

Frage: Wie bekommt mein Kind Selbstvertrauen beim Schulweg?

Siegfried Brockmann: «Selbstvertrauen ist etwas, was sich nicht im Straßenverkehr erlernen lässt, sondern das Kind hat entweder Selbstvertrauen, also Vertrauen in seine Möglichkeiten und Fähigkeiten, oder eben nicht. Aber das ist ja schon bei Erwachsenen ein großes Problem, weil Selbstvertrauen und Selbstüberschätzung dann auch relativ nah beieinanderstehen. Es gibt Kinder, die sich selbst etwas zutrauen, obwohl die Eltern es verboten haben. Das kann eben auch eine totale Selbstüberschätzung sein. Weil die Kinder meinen: „Alles Quatsch, ich kann das schon.“»

Frage: Welche Hilfsmittel können die Sicherheit erhöhen?

Siegfried Brockmann: «Bei denen, die schon Fahrrad fahren, ist der Helm extrem wichtig. Speziell schwerste und tödliche Verletzungen sind eigentlich immer Kopfverletzungen. An der Kleidung müssen nicht unbedingt Reflektoren vorhanden sein, aber es muss eine hellere Kleidung getragen werden. Gerade beim Schulweg kann man sich auch das Wetter nicht aussuchen und man fährt teilweise im Winter sogar in der Dämmerung.

Bei einem Fahrrad muss natürlich auch die Beleuchtung funktionieren. Und was man immer wieder mit Kindern üben muss: Fahrtrichtungszeichen geben.»

Die Björn Steiger Stiftung ist eine gemeinnützige Organisation, die 1969 gegründet wurde und deren Ziel die Verbesserung der Notfallhilfe und des Rettungswesens in Deutschland ist. 

Interview von Peter Löschinger, dpa