21. November 2024

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Warum Rülpsen wichtig ist – aber nicht jeder es kann

Rülps! Aufstoßen kann unangenehm sein, wenn andere davon mitbekommen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christin Klose/dpa-tmn)

Was beim Baby noch niedlich erscheint und mit Streicheln und Klopfen bewusst gefördert wird, um Bauchschmerzen zu verhindern, ist Erwachsenen eher unangenehm: aufstoßen. Das gilt vor allem, wenn einem statt eines kleinen Bäuerchens ein großer Rülpser in der Öffentlichkeit entfährt. 

Noch unangenehmer, als sich für diesen Fauxpas entschuldigen zu müssen, können jedoch die körperlichen Auswirkungen selbst sein. Zumindest dann, wenn man ständig aufstoßen muss. Denn das ist ein Anzeichen für die Refluxkrankheit, die häufig mit schmerzhaftem Sodbrennen einhergeht. Ein Überblick: 

Welchen Sinn Rülpsen hat

«Rülpsen ist ganz normal», sagt Ulrich Tappe, Vorsitzender des Berufsverbandes Niedergelassener Gastroenterologen Deutschlands. Das Aufstoßen dient dazu, überschüssige Luft oder Gase aus dem Magen und dem oberen Verdauungstrakt freizusetzen. Damit soll der Druck im Magen verringert werden, der etwa durch das Schlucken von Luft oder das Trinken von kohlensäurehaltigen Getränken entstanden ist. «Eine Luftentwicklung im Magen selbst ist extrem selten», sagt der Mediziner. 

Unangenehm wird es jedoch, wenn der Muskel, der den Zugang zum Magen verschließt, geschwächt ist, und man ständig aufstoßen muss. Dann fließen auch immer wieder Magensäure und andere Mageninhaltsstoffe in die Speiseröhre zurück, was die empfindliche Schleimhaut dort reizt. Die Folge ist ein brennendes Gefühl hinter dem Brustbein, das sich bis zum Hals erstrecken kann – kurz: Sodbrennen.

Weniger Säure, kleinere Portionen

Was hilft dann? Ulrich Tappe rät zu Anpassungen im Lebensstil. Konkret heißt das: Insbesondere vor dem Schlafengehen sollten die Essensportionen nicht zu riesig sein. Denn gerade, wenn man mit gefülltem Magen im Bett liegt, drückt der Speisebrei durch die Schwerkraft in die Speiseröhre nach oben. «Das kann ich minimieren, indem ich den Magen leerer lasse», erklärt Tappe. 

Zudem sollten Betroffene auf Speisen verzichten, die sehr säurehaltig sind – wie etwa eirer Essig-Vinaigrette zum Salat oder Wein. Wer sie sich dennoch gönnen möchte, sollte dazu einen Schluck Milch oder etwas Heilerde einnehmen. «Das puffert die Säure ein bisschen ab.» 

Auch Übergewicht spielt eine Rolle. «Bei zu viel Bauchfett hat der Magen nicht die Möglichkeit, sich zu entfalten, dann wird das Essen in die Speiseröhre zurückgedrückt», sagt Tappe. Anders formuliert: «Für jedes Kilo, das ich zu viel habe, entsteht automatisch ein größeres Risiko für Sodbrennen.» Der Körperumfang ist auch der Grund, warum Schwangere oft unter häufigem Aufstoßen oder Sodbrennen leiden. 

Unterm Strich jedoch gibt der Experte Entwarnung: «Rülpsen ist harmlos.» Schmerzen – und damit auch Sodbrennen – allerdings sollte man auf jeden Fall ernst nehmen und ärztlich abklären lassen. 

R-CPD: Eine bislang eher unbekannte Krankheit

Doch es existiert quasi auch das umgekehrte Krankheitsbild. Das Problem ist nicht, zu viel rülpsen zu müssen, sondern es gar nicht erst zu können. Diese Unfähigkeit, aufzustoßen, heißt in der Medizin Retrograde cricopharyngeale Dysfunktion, kurz: R-CPD. Sie geht auf eine Fehlfunktion der oberen Speiseröhrenmuskeln zurück und kann schon bei Kindern und Jugendlichen auftreten. 

Die Luft findet dann keinen Weg hinaus – mit Folgen: «Die Betroffenen leiden unter einem geblähten Bauch, Übelkeit mit Schwindel oder Schmerzen in der Brust, vor allem nach dem Essen», schildert Alexander Mainka, leitender Oberarzt an der Klinik für Audiologie und Phoniatrie an der Charité in Berlin. Hinzu kommen störende Geräusche in der Brust oder auch vermehrt Blähungen.

Das Problem – neben dem körperlichen Unwohlsein: Wer bei sich feststellt, dass diese Beschwerden im Zusammenhang mit dem Essen stehen, neigt vielleicht dazu, Mahlzeiten in der Gesellschaft anderer zu vermeiden. «Diese Erkrankung schließt also einen Mechanismus des sozialen Rückzugs mit ein, was die Lebensqualität erheblich beeinträchtigt», sagt Alexander Mainka. 

Die Betroffenen haben oft einen langen Leidensweg hinter sich, weil die richtige Diagnose über viele Jahre nicht gestellt werden konnte. «Erst seit etwa fünf Jahren gibt es R-CPD überhaupt auf dem Radar der Schulmedizin», so der Mediziner. 

Betroffene können nur wenig selbst tun

Die Möglichkeiten, diese Fehlfunktion durch eigenes Ess- und Trinkverhalten in den Griff zu bekommen, sind jedoch begrenzt. «Grundsätzlich ist es nicht so, dass man die Beschwerden durch eine bestimmte Diät wirksam aufheben kann», so der Mediziner. 

Man könne sie allerdings etwas lindern, indem man kohlensäurehaltige Getränke vermeide oder die Nahrung auf mehrere kleine Portionen verteile. Die Notwendigkeit, im Magen Druck abzulassen, bestehe jedoch weiterhin. «Und wenn dieser Mechanismus kaum oder gar nicht funktioniert, sind die Probleme da – mehr oder weniger ausgeprägt.»

Doch es gibt Behandlungsmöglichkeiten – etwa mit dem Nervengift Botulinumtoxin, umgangssprachlich als Botox bezeichnet. Unter Vollnarkose kann es in den oberen Schließmuskel der Speiseröhre gespritzt werden. Dieser befindet sich unmittelbar hinter dem Kehlkopf und ist mit der Technik einer klassischen Kehlkopfspiegelung gut erreichbar. 

Laut Mainka bewirkt das Nervengift nicht nur eine vorübergehende Erschlaffung des Muskels: In vielen Fällen könne es sogar dazu führen, dass der Druckausgleich der Speiseröhre dauerhaft wieder funktioniert. «Etwa 80 Prozent der Patienten sprechen auf eine Botox-Injektion an», so der Mediziner. Rund zwei Drittel von ihnen erlebten auch nach einem halben Jahr noch eine spürbare Besserung der Beschwerden. «Das bedeutet, dass man eine gute Chance hat, mit einer einmaligen Behandlung das Problem auch nachhaltig zu verbessern.»

Doch ganz gleich, ob man meint, zu viel oder zu wenig aufzustoßen: Wer schon lange darunter leidet, aber auch, wer plötzlich auftretende Probleme oder Schmerzen hat, sollte auf jeden Fall ärztliche Hilfe suchen, raten die Experten. Im Fall der R-CPD empfiehlt Alexander Mainka, einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt oder einen Facharzt für Phoniatrie und Pädaudiologie aufzusuchen. 

Von Katja Sponholz, dpa