Tim Winkler hat sich ganz schön was aufgebaut. Er sitzt in seiner Wohnung in Neulingen (Enzkreis) vor einer Armee von Monstern und Kriegern, knapp 30 Mann beziehungsweise Frau stark.
Kleine Figuren sind das, zwischen drei und gut fünf Zentimetern groß – und jede von ihnen ist einzigartig. Denn der 31-Jährige bemalt diese Figuren in stundenlanger Arbeit selber. Damit gehört er zu einer inzwischen großen Zahl von Menschen, die sich nicht nur generell für sogenannte Tabletop-Spiele interessieren, sondern die die dazu notwendigen Mini-Figuren auch eigenhändig bemalen. Tabletop-Spiele sind Strategiespiele, die auf einer Tischplatte gespielt werden und bei denen Spieler mit Miniaturen-Gruppen gegeneinander antreten.
Gespielt wird nur mit Figuren, die bemalt wurden
«Nicht bemalte Figuren sind verpönt», sagt Winkler. Wer was auf sich hält, stecke viel Zeit und Herzblut in die Gestaltung seiner Plastikfigürchen und viel Hirnschmalz in das Farbkonzept, erzählt er. Man versuche, ständig auf dem Laufenden zu bleiben und sich auch von anderen Bemalern von Minis etwas abzuschauen. Generell gilt für Winkler und seine Mitstreiter: Sie spielen nur mit Figuren, die sie selbst bepinselt haben. Auf Turnieren sei es zumeist ohnehin verboten, mit unbemalten Figuren anzutreten – oder es gibt zumindest Punkteabzug.
Winkler hat inzwischen rund 200 Figuren selber bemalt, davon die meisten aus dem Tabletop-Spiel «Warhammer 40.000». Seit er 13 ist, beschäftigt er sich mit Tabletop-Spielen und malt schon seit Jahren. Im Gegensatz zu anderen Bemalern malt Winkler seine Figuren oft schon an, solange sie noch in Einzelteile zerlegt sind und setzt sie danach zusammen. Die Figuren beziehungsweise die Einzelteile werden entsprechend vorbereitet: Sie werden «entgratet» – zunächst entfernt Winkler an seinem Mal-Arbeitsplatz mit einem Skalpell die überstehenden Plastikrückstände, die beim Herauslösen aus den Gussrahmen des Bausatzes entstehen.
Dann wird geglättet und grundiert und die eigentliche Malarbeit beginnt. Auf einer seiner Figuren hat Winkler Farbverläufe auf winzigen Schwertern von rot nach schwarz gestaltet, «lacing», heißt das. Dafür werden wenig Farbpigmente mit viel Wasser auf den Pinsel genommen, damit keine Kanten entstehen. Da kann es auch mal Stunden dauern bis zum gewünschten Resultat, erklärt Winkler. Gold- oder Silbertöne für Rüstungsteile, Verzierungen oder Waffendetails legt er mühselig übereinander, damit etwa der Lichteinfall auf einem klitzekleinen Helm oder einem winzigen Knieschutz stimmt. Hauttöne müssen getroffen werden, Flammen auf winzigen Fackeln realistisch aussehen. Der Faltenwurf der purpurnen Roben seiner Kämpfer wirkt mit all seinen Schattierungen wie auf einem Gemälde. Gerade hat Winkler sich eine Airbrush bestellt, damit kann das Aufeinanderschichten von Farben erleichtert werden.
Für jede Rille und Schattierung ein Pinselstrich
Auch kleinste Rillen etwa in den Federn von Wappentieren werden schattiert, in der Tiefe dunkler, oben heller. Dabei hilft Tusche mit einem hohen Wasseranteil, damit sich die Pigmente in den Vertiefungen ablagern. Es sieht verblüffend echt aus. «Rillen sind meine Spezialität», sagt der 31-Jährige. Nur mit Augen der Figürchen tut er sich nach eigenen Worten schwer. Meistens verpasst er ihnen mit fluoreszierender Farbe eine gespenstisch-gefährliche Fantasy-Aura. Winzige Pupillen zu malen und trotzdem einen guten Gesichtsausdruck hinzubekommen, das sei schwer, erzählt er.
Zig Miniaturen-Mal-Tutorials gibt es im Netz, jede Menge Anleitungen mit Tipps und Tricks zu Farbgebung und Schattierungen, zu Pinselstärke, der besten Grundierung, zu Lacken, Tuschen und zur Frage, wann Trockenfönen sinnvoll ist und wann nicht. Es gibt Wettbewerbe, auf denen die schönsten Figuren ausgezeichnet werden, es gibt sogar professionelle Bemal-Studios, die auf Wunsch Figuren nach den individuellen Vorstellungen ihrer Besitzer anmalen. Doch selber malen ist nach wie vor der Goldstandard. Das ist auch die Leidenschaft des Karlsruhers Moritz Post. Erst vor zwei Jahren hat er angefangen und kommt vor lauter Malen fast gar nicht zum Spielen, wie er erzählt. Seine Spezialität: So zu malen, dass Lichteffekte exakt mit der Realität übereinstimmen.
Tausende Miniaturenbemaler vermutet Spiele-Experte Henning Mützlitz inzwischen in Deutschland. Die Zahl dürfte sich im fünfstelligen Bereich bewegen, sagt der Chefredakteur des Magazins «Geek», der bei der Zeitschrift den Spielebereich verantwortet. Seinen Worten zufolge ist das Figurenbemalen ein ganz wesentlicher Teil des Tabletop-Hobbys und hat in den vergangenen zwei Coronajahren nochmals einen deutlichen Schub bekommen. «Es ist kreativ und kontemplativ», sagt er. Zudem spiele gerade bei Fortgeschrittenen auch der Gedanke eine große Rolle, dass mit jeder bemalten Figur ein totales Unikat entstehe.
Bis zu sechs Wochen für eine Figur
Unbemalt kann eine einzelne Figur auch schon mal 40 bis 60 Euro kosten. Wer sich eine ganze Armee von einem Malstudio bemalen lassen würde, müsste bis zum Zehnfachen ausgeben, erläutert Winkler. Er sitzt bis zu sechs Wochen an einer Figur. Im Ranking der Miniaturenbemaler würde er sich im «oberen Drittel» verorten. Wichtig ist ihm, dass sein Hobby aus dem Schattendasein herauskommt. «Das ist keine Nerd-Beschäftigung», sagt er. Man vernetze sich mit Gleichgesinnten auf diversen Foren im Internet; auch in einem Pforzheimer Club trifft er sich regelmäßig. «Mir macht es sehr viel Spaß und ich bin noch lange nicht müde.»
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