Die Corona-Pandemie hat so ziemlich alles auf den Kopf gestellt, was sonst selbstverständlich für Kinder war. Sie durften sich plötzlich nicht mehr draußen frei bewegen, Kindergärten und Schulen waren über lange Zeit geschlossen, auch Freundinnen und Freunde konnten sie zum Spielen nicht mehr einfach so treffen. Das hat auch die Art verändert, wie Kinder spielen.
Aber wird das auch langfristige Folgen haben?
«Für die Kinder sind die zwei Jahre eine längere Gefühlszeit als für uns Erwachsene, eine Zeit, die sie sehr geprägt hat. Wieder aus den Denkmustern herauszukommen, ist schwierig», sagt Claudia Neumann vom Deutschen Kinderhilfswerk in Berlin. Dieses hat den diesjährigen Weltspieltag am 28. Mai deshalb unter das Motto «Wir brauchen Spiel und Bewegung – draußen und gemeinsam» gestellt.
Schon vor der Pandemie sei es für Kinder schwierig gewesen, ihren Bewegungsdrang auszuleben, erläutert Neumann. Zum einem fehlten in den verdichteten Städten dafür genügend Frei- und Spielflächen, zum anderen bleibe Kindern dafür nur wenig Zeit im Schulalltag. «Wenn alle anderen Aufgaben erledigt sind, dann dürfen die Kinder erst spielen.»
Diesen Trend habe Corona verstärkt, sagt Neumann. Eine Befragung habe gezeigt, dass Familien und Kinder zwar im ersten Lockdown im Frühling mehr Zeit draußen verbracht hätten, weil damals auch der Online-Unterricht noch nicht so gut organisiert gewesen sei. Doch auch da habe es Unterschiede gegeben: Kinder in den Städten hätten sich weniger bewegt, auch weil Schul- und Vereinssport weggefallen seien.
Im zweiten Lockdown ab Winter hätten dann alle mehr Zeit drinnen verbracht – wegen der kalten Temperaturen und weil viel Schulstoff nachgeholt werden musste.
Konsumverhalten hat sich verändert
Dass die Pandemie Folgen fürs Spielen hatte, steht für den Pädagogen Volker Mehringer von der Universität Augsburg außer Frage. «Wenn sich die Rahmenbedingungen verändern, ändert sich auch das Spiel», sagt er. Doch wie sich die Pandemie genau ausgewirkt habe, dazu gebe es noch keine handfesten wissenschaftlichen Erkenntnisse. «Aus dem Konsumverhalten kann man das eine oder andere aber ablesen.»
So konnte die Spielzeugbranche ihre Umsätze 2020 und 2021 auf Rekordwerte steigern. «Beschäftigung war das Gebot der Stunde», sagt Ulrich Brobeil vom Deutschen Verband der Spielwarenindustrie (DSVI). Besonders gefragt seien Gesellschaftsspiele, Puzzles, Bastelzubehör und Outdoorspielzeug wie Bälle oder Sandförmchen gewesen.
«Spielen war während Corona Therapie», meint Brobeil. Offenbar auch für Erwachsene. In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag des DSVI gaben 40 Prozent der Befragten im vergangenen Jahr an, dass Spielen ihnen durch die Pandemiezeit geholfen habe. 37 Prozent erklärten, dass Spielen bei ihnen auch künftig einen größeren Stellenwert haben werde.
Boom bei Gesellschaftsspielen
«Deutschland ist schon immer ein großes Gesellschaftsspielland gewesen», sagt Christin Lumme vom Deutschen Spielearchiv, dessen Sammlung 40.000 Spiele aus fünf Jahrhunderten umfasst. «Corona hat dem sicherlich noch einen Schub gegeben.» Das Schöne an Gesellschaftsspielen sei, dass am Spieltisch alle gleich seien. Kinder lernten dabei, sich an gemeinsame Regeln zu halten, zu gewinnen, aber auch verlieren zu können.
In der Corona-Zeit hätten viele Familien mehr Zeit dafür gehabt, weil viele andere Freizeitaktivitäten nicht möglich gewesen seien, sagt Lumme. Auch Online-Plattformen hätten geboomt, auf denen Menschen Brettspiele digital zusammen spielen können.
Bedeutung des Spielens
Am Weltspieltag wollen die Organisatoren nun die Bedeutung des Spielens für Kinder wieder mehr in den Mittelpunkt rücken. «Gerade bei Kindern ist Spielen die Hauptbeschäftigung», sagt Forscher Volker Mehringer. 10.000 bis 15.000 Stunden verbrächten Kinder bis zum Alter von 6 Jahren schätzungsweise damit – und dabei lernten sie unbewusst und mit großen Spaß.
«Sie schaffen sich optimale Lernbedingungen. Eltern können Impulse setzen. Aber Kinder brauchen vor allem den Freiraum, nach der eigenen Lust zu entscheiden und sich Sachen herauszupicken, die sie herausfordern», sagt Mehringer.
Aus Erwachsenensicht mag ein bestimmtes Spiel sich nicht immer sofort erschließen. Auf den zweiten Blick sehe man dann oft, wie sehr Motorik, Fantasie und abstraktes Denken dabei ausprobiert würden, sagt Mehringer. Trotzdem fehle bei Eltern oft die Akzeptanz für das freie Spielen, meint die Expertin Neumann. Stattdessen setzten diese auf Lernspiele. «Das ist Paradox, weil es bei denen gar nicht ums Spielen geht.»
Doch gerade das freie Spielen sei wichtig fürs spätere Leben, sagt sie: «Wenn man als Kind nicht gelernt hat, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen, wird man es als Erwachsener auch nicht können.»
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