Belegte Brötchen, ganze Brote, Gemüse und Konserven stehen in einer Seitenkapelle der Kirche St. Aposteln in Frankfurt am Main zur Abholung bereit – Lebensmittel, die im Müll gelandet wären, hätten nicht Mitglieder des Vereins Foodsharing zugegriffen. Foodsharing engagiert sich bundesweit bei der Verteilung noch genießbarer Lebensmittel. Dazu holen die Mitglieder übrig gebliebene und aussortierte Ware bei Supermärkten oder Bäckereien ab.
In Frankfurt wächst die Zahl der Engagierten von Woche zu Woche, wie die örtliche Vereinsvorsitzende Lisa Villioth sagt. Rund 840 seien es derzeit. Mit mehr als 160 Betrieben gebe es Kooperationen zur Abholung von Waren. Die Verteilung läuft über Gruppen in sozialen Netzwerken und über offene Kühlschränke – wie denjenigen in der Kirche im Frankfurter Süden. Lebensmittel abholen kann hier jede und jeder, sagt Bettina Rupp, die das Projekt von Seite der Pfarrei betreut. Meist kämen Menschen aus der Nachbarschaft.
«Das ganze System ist verrückt»
Villioth kritisiert den Umgang mit Lebensmitteln. «Das ganze System ist verrückt», sagt die 35-Jährige. Sie verweist dabei etwa auf die riesige Menge an Lebensmitteln, die nach Ladenschluss im Einzelhandel regelmäßig im Müll lande – weil auch leicht verderbliche Waren in großer Auswahl bis zuletzt angeboten würden. Foodsharing Frankfurt habe seit der Gründung vor neun Jahren mehr als 1700 Tonnen Lebensmittel vor dem Wegwerfen gerettet. Bundesweit, in der Schweiz und in Österreich führte die Organisation Ende vergangenen Jahres die Menge von 83.000 Tonnen seit ihrer Gründung zehn Jahre zuvor an.
«Das ist super», sagt Ulrich Jürgens vom Geographischen Institut in Kiel über Foodsharing. Die Lebensmittel würden in der Regel mit viel Liebe gesammelt, sagt der Professor, der zu Lebensmittelverschwendung forscht. Angesichts Millionen Tonnen weggeworfener Nahrung pro Jahr handele es sich jedoch um einen Tropfen auf den heißen Stein.
In Deutschland wurden nach Zahlen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft 2020 etwa elf Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Der Großteil entstehe in privaten Haushalten, danach kämen Handel und Verarbeitung. Besonders Obst, Gemüse und Brot landen häufig in der Tonne.
Per App Backwaren reservieren
Die Plattform Too Good To Go (TGTG) bringt Bäckereien, Supermärkte oder Restaurants mit Verbrauchern zusammen. Die Betriebe schätzen während des Tages ab, wie viel später übrig bleibt. Kunden reservieren per App eine sogenannte Magic Bag und zahlen ein Drittel des ursprünglichen Preises. 17.000 Partnerbetriebe und rund 9,4 Millionen Nutzer sind bei der Plattform registriert.
Konkurrenz zu den Tafeln gebe es nicht, sagt TGTG Country Manager Deutschland, Wolfgang Hennen. «Bei elf Millionen Tonnen ist genug für alle da.» Zusammen mit Betrieben und Verbrauchern sind laut TGTG 23 Millionen Essensportionen seit der Gründung 2016 gerettet worden.
Jürgens hält diese Zahl für optimistisch. Wie auch bei Foodsharing oder anderen Initiativen würden sich die Essensretter eben auch vor dem Einkauf in einem anderen Laden retten. Und auch die Frankfurter Foodsharing-Vorsitzende Villioth sagt, es gebe Wochen, in denen sie gar nicht einkaufen gehe.
Hygiene ohne Verschwendung?
Auch die Tafeln retten Lebensmittel vor dem Müll, pro Jahr verteilen sie nach Angaben des Bundesverbands 265.000 Tonnen davon – mit steigender Tendenz. Eine Konkurrenz zu Foodsharing gebe es nicht, da es eine Vereinbarung gebe, dass die Tafeln, die sich an ärmere Menschen wenden, die sich wenig leisten können, bei Spenden Vorrang haben, wie ein Sprecher sagt.
Containern wird es genannt, wenn Menschen Lebensmittel aus den Abfallcontainern von Supermärkten holen. Zahlen dazu gibt es nicht. Forscher Jürgens glaubt, dass es sich um verhältnismäßig geringe Mengen handelt. Häufig gehe es nicht darum, satt zu werden, sondern um «die Idee des abenteuermäßigen, gemeinschaftlichen Events», mit einer antikapitalistischen, konsumkritischen Haltung. Jürgens gibt zu bedenken, Lebensmittelhygiene sei ein «hehres Gut» – in der Tonne kommen genießbare Lebensmittel auch in Kontakt mit Verrottetem.
Straffreies Containern
Die Bundesregierung wirbt dafür, das Containern straffrei zu stellen, umsetzen sollen es die Länder. Diese Initiative hält Ricarda Heymann aus Mittelhessen, die einmal pro Woche Waren aus dem Müll von Supermärkten fischt, zwar für sinnvoll. Noch sinnvoller wäre es aber, Supermärkten das Wegwerfen von Lebensmitteln zu untersagen. Auch Heymann kritisiert Überproduktion und Überangebot im Handel, die zu dem Müllaufkommen führten.
Es gibt keine öffentlich zugänglichen Auflistungen darüber, wie viel genießbare Lebensmittel in Supermärkten weggeworfen werden – aber es dürfte eine Menge sein, schätzt auch Jürgens. In Frankreich ist es großen Einzelhändlern und Supermärkten seit 2016 verboten, Lebensmittel wegzuwerfen, sie müssen gespendet werden. Dem Verein Zentrum für europäischen Verbraucherschutz zufolge haben die Tafeln dort seitdem deutlich mehr Lebensmittel zur Verfügung.
Tipps gegen Lebensmittelverschwendung
Einkaufszettel schreiben, sich Zeit zum Einkaufen nehmen, Packungsgrößen beachten und Lebensmittel bewusst auswählen – diese Tipps gibt das zuständige Bundesministerium Verbrauchern gegen die Verschwendung von Lebensmitteln. Die beste Vorsorge sei eine gute Planung des Einkaufs sowie ausreichend Zeit vor Ort, um Preise und Qualität in Ruhe vergleichen zu können. Sorgfalt sollte auch bei der Lagerung der Lebensmittel gelten. Zum Thema Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) stellt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft klar, dass es sich hier nicht um ein Wegwerfdatum handelt – die Waren könnten anschließend noch lange genießbar sein. Das Verbrauchsdatum dagegen zeige auf leicht verderblichen Produkten den Zeitpunkt an, zu dem diese tatsächlich nicht mehr genießbar seien.
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