5. November 2024

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Corona-Krise: Wie geht es den Pflegebedürftigen zu Hause?

Bei einer Befragung gaben 81 Prozent der Pflegebedürftigen an, den Kontakt zu Dritten außerhalb des Haushalts gemieden zu haben. Bei den Angehörigen war der Anteil mit 87 Prozent noch höher. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Karolin Krämer/dpa-tmn)

Wenn Edeltraud Geister über das vergangene Jahr spricht, erzählt sie vor allem von Überforderung und dem Auf-sich-allein-gestellt-Sein. Die 67-jährige Rentnerin aus Biberach im Südosten Baden-Württembergs pflegte während der Pandemie ihren dementen Ehemann bei sich zu Hause.

Dabei geriet sie an ihre eigenen Grenzen – wie viele andere pflegende Angehörige in Deutschland. Viele leiden unter Überforderung, Angst vor Ansteckung und sozialer Isolation.

Belastung für Angehörige wächst

Edeltraud Geister nahm wie rund 16.000 weitere Mitglieder des Sozialverbands VdK an einer Studie zur Pflegesituation zu Hause teil. Die Ergebnisse der nun vorgestellten Befragung von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen fallen deutlich aus. Sie zeichnen ein ähnliches Bild von nervenzehrender Dauerbelastung wie bei der stationären Pflege während der Pandemie auch – nur dass hier die Last den Angehörigen zufällt und nicht ausgebildetem Pflegepersonal.

Edeltraud Geister musste deshalb zeitweise selbst in Behandlung. Inzwischen wird ihr 79-jähriger Mann in einem Pflegeheim betreut. Vor der Pandemie war Peter Geister noch selbstständig, ging zum Zeitungsladen und besuchte Freunde, erzählt seine Frau. Seit Ende 2019 verschlechterte sich sein Zustand, und Geister musste sich zunehmend rund um die Uhr um ihn kümmern. «Er hat sich wahnsinnig an mich geklammert», berichtet die ehemalige Laborassistentin. Mit Beginn der Pandemie und aus Angst vor Ansteckung isolieren sich die Eheleute fast komplett, da sie beide zur Risikogruppe gehören. Die Haushaltshilfe mit zwei Schulkindern baten sie, künftig nicht mehr zu kommen.

Pandemie hat Situation verschlechtert

In der Studie des VdK berichteten 76 Prozent der Pflegebedürftigen von der Befürchtung, an Corona zu erkranken und an Spätfolgen zu leiden. Auch 72 Prozent der Angehörigen trieb diese Angst um. Mehr als zwei Drittel gingen demnach davon aus, dass sich ihre Situation durch die Pandemie verschlechtert, bei den Angehörigen sahen das 57 Prozent so.

Edeltraud Geister musste dies selbst erleben. Während die Aufgaben für die 67-Jährige zu Hause immer größer wurden, schrumpften die Freiräume aufgrund der Einschränkungen der Pandemie immer weiter zusammen. Ein Treffen mit Freunden oder Erfüllung als Übungsleiterin beim Seniorensport blieben ihr verwehrt. Stattdessen musste sie sich immer intensiver um ihren dementen Mann kümmern, dessen Zustand sich in dieser Zeit weiter verschlechterte.

Aufgrund der Demenz habe ihr Mann nicht verstanden, warum er zu Hause bleiben oder eine Maske tragen soll. Er habe sie immer wieder in Erklärungsnot gebracht, es kam öfter zu Streit. Die Entlastung durch eine Tagespflege hat im Sommer 2020 wegen eines weiteren Lockdowns nach nur wenigen Tagen ein Ende, der Corona-Alltag bleibt eine Herausforderung. «Das Atemholen hat mir gefehlt. Nicht immer daran denken, was muss ich morgen machen muss.»

Weniger soziale Kontakte

Für Edeltraud Geister wird die Belastung zu viel. Sie erkrankt an einer Depression und wird im März in einer Klinik behandelt. Wenig später muss sie die schwere Entscheidung treffen, dass sie sich nicht mehr selbst um ihren Mann kümmern kann. Im Mai kommt der 79-Jährige zunächst in ein Krankenhaus, seit Juni ist er einem Pflegeheim.

Die Studie spiegelt die Eindrücke der pflegenden Angehörigen aus Biberach. 81 Prozent der Pflegebedürftigen gaben dort an, den Kontakt zu Dritten außerhalb des Haushalts gemieden zu haben, bei den Angehörigen war der Anteil mit 87 Prozent noch höher. Ein Drittel der Pflegebedürftigen verließ das Haus laut der Erhebung gar nicht mehr. Der Großteil der befragten Pflegebedürftigen (78 Prozent) und Angehörigen (84 Prozent) berichtete von der Pandemie als belastende Zeit.

Erhöhung der ambulanten Leistungen gefordert

Der VdK fordert angesichts dieser Erkenntnisse eine Erhöhung der ambulanten Leistungen für die Pflege zu Hause. Zudem brauche es Entlastungsangebote für pflegende Angehörige. «Das wirre Nebeneinander von Kurzzeit- und Verhinderungspflege muss ein Ende haben», unterstrich die VdK-Vorsitzende Verena Bentele.

Der Sozialverband spricht sich zudem für Ersatzleistungen für arbeitende Pflegende aus und einen Anspruch darauf, für die Pflege von der Arbeit freigestellt zu werden. Um eine Situation wie die von Edeltraud Geister künftig zu verhindern, soll es laut VdK einen bundesweit gültigen Krisen- und Katastrophenplan geben, der die Versorgung zu Hause sicherstellt, auch wenn Pflegebedürftige und ihre Angehörigen nicht mehr das Haus verlassen können oder wollen.

Von Sebastian Schlenker, dpa