21. November 2024

HEALTH News

Alles rund um Ihre Gesundheit

Der Selbstaufopferung Grenzen setzen

Viele Menschen wollen ihre Angehörigen so lange wie möglich selbst pflegen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Uwe Umstätter/Westend61/dpa-tmn/Illustration)

Der größte Pflegedienst der Nation arbeitet von Zuhause aus – und zwar nicht erst seit Corona. 80 Prozent der rund 4,1 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden daheim versorgt, ein Großteil davon überwiegend von Angehörigen. Das zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes.

Das kann schöne Momente bringen, aber auch eine Menge Belastung. Vor lauter Sorge um den Angehörigen, wird das eigene Wohl dabei allzu oft vernachlässigt. Mit zum Teil erheblichen Folgen. «Nicht selten werden Pflegende anschließend selbst Pflegefälle», beobachtet Katrin Thiem. Sie leitet die Abteilung Gesundheits- und Altenhilfe des Caritasverbandes für das Erzbistum Paderborn.

Aufwand wird unterschätzt

Oft ist ein Bedürfnis der Angehörigen, ihre Liebsten so lange wie möglich selbst zu pflegen. Viele haben sich versprochen, füreinander zu sorgen, sagt Sabine Lohmann, Kurberaterin beim Caritasverband. Einigen Angehörigen sei anfangs nicht klar, wie groß Aufwand und Belastung in einer Pflege-Situation wirklich seien, so Lohmann. Der Ehrgeiz, diese Aufgabe zu schaffen, stehe im Vordergrund. Die eigenen Bedürfnisse kämen dagegen meist zu kurz.

Wenn die Pflegesituation nicht akut einsetzt, rutschen Angehörige teils eher unbewusst in eine Vollzeit-Pflege hinein, erklärt Markus Küffel, Gesundheitswissenschaftler und Geschäftsführer von «Pflege zu Hause», einer Vermittlungsagentur für Betreuungskräfte. «Man übernimmt immer mehr Aufgaben», sagt Küffel. «Anfangs vielleicht nur den Einkauf, später die Unterstützung bei der Körperpflege.»

Kontakt zu sich selbst behalten

Besonders bei einem solchen schleichenden Prozess sei es oft schwierig, einen Schlussstrich zu ziehen, sagt Psychologin Eva Asselmann. «Man sollte versuchen, den Kontakt zu sich selbst nicht zu verlieren und auf sein eigenes Wohlbefinden zu achten», empfiehlt die Professorin für Persönlichkeitspsychologie an der Health and Medical University in Potsdam.

Zudem muss man sich klarmachen: «Professionelle Pflege ist kein Laien-Job», sagt Küffel, der selbst als Pflegefachkraft gearbeitet hat. Um eine Betreuungssituation realistisch einschätzen zu können, sollte man sich einen möglichst genauen Überblick verschaffen. Hierzu eignet es sich, einen Stundenplan zu erstellen oder eine Zeit lang alle Arbeiten in einem Pflegetagebuch zu protokollieren.

«Man muss sich fragen, wie viel Zeit man entbehren kann und will», so Küffel. Die Planung sollte auch mit der betreuungsbedürftigen Person abgeklärt werden. «Die meisten zu Pflegenden sind ebenfalls erleichtert, wenn ihren Liebsten Last abgenommen werden kann.»

Vielfältige Möglichkeiten zur Unterstützung

Kommt man zu dem Schluss, die Pflege nicht alleine leisten zu können, gibt es viele Beratungs- und Begleitangebote, um Lösungen für die eigene Situation zu finden.

Als erste Anlaufstelle eignen sich Pflegestützpunkte, da diese eine kostenlose Beratung bieten und die Angebote vor Ort gut kennen. Auch Fragen zur Finanzierung, etwa welche Leistungen von der Pflegekasse bezahlt werden, können dort beantwortet werden.

Das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) stellt im Internet kostenlos eine Datenbank bereit, in der man nach Beratungsstellen in der Nähe suchen kann (www.zqp.de/beratung-pflege).

Aufgaben auslagern

Zudem besteht die Möglichkeit, Entlastung durch verschiedene Unterstützungsangebote im Bereich der Pflege zu bekommen, sagt Caritas-Kurberaterin Lohmann. Man könne beispielsweise Aufgaben an Fachkräfte abgeben und sich damit wertvolle Freiräume schaffen. Die pflegebedürftige Person könne beispielsweise für einen oder zwei Tage in der Woche in eine Tagesbetreuung gehen. Oder sie geht für eine gewisse Zeit in eine Kurzzeitpflege.

Möchte die pflegebedürftige Person unbedingt daheim bleiben, kann eine Betreuungskraft engagiert werden. Oder man lässt sich von einem ambulanten Pflegedienst unterstützen.

Wer sich selbst zu viel zumutet, droht auszubrennen. Psychologin Asselmann sagt: «Es ist ein Paradox. Je mehr man zu tun hat, desto wichtiger, aber auch desto schwieriger ist es, Pausen zu schaffen.»

Es sei daher ratsam, sich proaktiv Hilfe zu suchen und gegenüber Bezugspersonen offen zu sein, sagt sie. Auch abseits der Pflege könne man Aufgaben auslagern. Etwa, indem man eine Reinigungskraft für den Haushalt organisiert oder den Partner mehr einbindet.

Bis an die Grenze

In der Praxis suchen sich pflegende Angehörige oft erst dann Hilfe, wenn sie vor lauter Erschöpfung nicht mehr weiterwissen.

«Trotz Migräne, Rückenschmerzen, Schlaflosigkeit und andere psychosomatischen Störungen – viele Pflegende brauchen erst einen Stups von außen», sagt Caritas-Referentin Thiem. Dabei sei es mehr als in Ordnung, Schwäche zu zeigen. «Viele Pflegende sehen gar nicht, was für eine Riesenleistung sie jeden Tag aufs Neue vollbringen.»

Um eine neue Perspektive auf den Alltag zu bekommen und sich nachhaltig Entlastung zu schaffen, ist es oft hilfreich, mit etwas Abstand auf die Situation blicken zu können, sagt Sabine Lohmann.

Dazu eignen sich beispielsweise spezielle Kuren für pflegende Angehörige. Die Kosten für die Maßnahmen von rund drei Wochen Dauer werden in der Regel von der Krankenkasse übernommen, so Lohmann. Voraussetzung ist, dass sie ärztlich verordnet wurden.

Von Vera Kraft, dpa