Die lange Phase der Distanzbeschulung birgt nach Einschätzung von Bildungsexperten vor allem bei Grundschulkindern das Risiko der Ausbildung von Lernschwierigkeiten. Je jünger Kinder seien, desto stärker seien sie beim Einstieg in die Schriftsprache und Mathematik auf individuelles Feedback angewiesen, sagte Marcus Hasselhorn vom Frankfurter DIPF Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation.
Bereits seit längerem fordert die Lehrer-Gewerkschaft GEW, zusätzliches Personal einzustellen, um die Schüler intensiver unterstützen zu können.
Individuelle Unterstützung durch Lehrkräfte kaum möglich
Gerade bei der Beschulung von Klassen mit durchschnittlich 20 Kindern über digitale Technik könnten die Lehrkräfte nur schwer auf das individuelle Verständnis und möglichen Förderbedarf von Grundschulkindern eingehen, sagte Hasselhorn. Hinzu komme: Kinder aus bildungsfernen Schichten sowie mit bereits vor der Corona-Krise bestehenden Lernschwierigkeiten dürften nun noch stärker abgehängt werden, erwartet der Experte.
Zwar verhinderten in Deutschland rigide Datenschutzbestimmungen aussagekräftige Analysen zur Lernsituation der Kinder, sagte Hasselhorn. Daher stütze sich das DIPF bei seinen Empfehlungen auf Daten aus Nachbarländern wie der Schweiz mit einem ähnlichen Schulsystem wie Deutschland. Kürzlich seien dort Analysen der durch die Schulschließung bedingten Leistungseinbußen bei rund 350.000 Schülern vorgelegt worden. Auf Basis dieser Daten geht das Institut davon aus, dass auch hierzulande derzeit rund 15 Prozent der Grundschüler nicht die Mindeststandards im Lesen, Schreiben und Rechnen erfüllen, wie Hasselhorn sagte.
Eltern sind mit Homeschooling überfordert
Durch Homeschooling und Distanzunterricht bedingte Lerndefizite machen sich nach Einschätzung privater Nachhilfeanbieter wie der Schülerhilfe aber auch bei älteren Schülern bemerkbar. Viele Eltern seien mit dem Homeschooling überfordert und verunsichert, wie es um den aktuellen Leistungsstandard der Kinder stehe, teilte das Unternehmen auf Anfrage mit. Häufig werde auch von mangelnder Selbstorganisation und Konzentrationsschwierigkeiten aufgrund der langen Lernzeit am PC berichtet, heißt es von dem Unternehmen, das neben Studienkreis, Lernstudio Barbarossa und weiteren Anbietern zu den privaten Nachhilfe-Instituten gehört.
Auch die GEW hat die Probleme im Blick. «Jedes Kind, das verloren geht, ist eines zu viel», sagte die Co-Vorsitzende der GEW Hessen, Birgit Koch. Um gegenzusteuern, sei generell eine stärkere Förderung durch zusätzliches Personal nötig. Dafür könnten Mittel aus dem für die Schulen vorgesehenen Topf des Corona-Sondervermögens aufgewendet werden. Sinnvoll wäre aus Kochs Sicht, beispielsweise Lehramtsstudenten oder Studierende der Sozialen Arbeit einzubinden, die coronabedingt derzeit keine Schul- und sonstigen Praktika ableisten könnten. Auch sie könnten von einer solchen Lösung profitieren, weil sie praktische Erfahrungen sammeln und etwas Geld verdienen könnten. «Damit würde man mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen», sagte Koch.
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