Zwei Bier sind es beim Karneval in Bonn gewesen. In eines der Gläser sind wohl sogenannte K.-o.-Tropfen gemischt worden. «Mir fehlen zehn Stunden Erinnerung», sagt Alexandra Roth. Vor einer Kneipe sei sie zusammengebrochen. «Zum Glück war mein bester Freund da, der meinen Mann angerufen hat. Er ist Arzt.»
41 Jahre sei sie bei dem Vorfall 2018 gewesen. «Ich hätte nie gedacht, dass ich zu der Zielgruppe gehöre.» Die Mutter zweier Töchter warnt nun andere mit einer Aufklärungskampagne vor den Gefahren dieser Tropfen.
Alexandra Roth befürchtet, dass in diesem Sommer wieder mehr Betroffene Hilfe bei ihr suchen. Anders als in den vergangenen zwei Jahren darf nun ausgelassen und weitgehend ohne Corona-Beschränkungen gefeiert werden. Bei Festivals tanzen die Leute wieder ausgelassen. Bars und Clubs haben bis in den Morgen geöffnet. Ein leichtes Spiel für Täter.
Sie schütten die meist geschmacks- und geruchlosen Chemikalien in die Getränke ihrer Opfer. K.-o.-Tropfen wirken wie Drogen. Nach einigen Minuten wird den Betroffenen schwindelig, sie können nicht mehr klar denken und wirken und fühlen sich, als wären sie betrunken. Kurz darauf werden sie für Minuten oder auch mehrere Stunden bewusstlos. Die Täter nutzen diese Zeit für Sexualdelikte oder zum Ausrauben. Die Opfer können sich hinterher meist nicht mehr richtig daran erinnern.
Taten werden meist zeitverzögert angezeigt
Das erschwert die Ermittlungen der Polizei. Zumal die Tropfen nicht lange im Körper nachzuweisen sind. «Im Blut sind es etwa sechs Stunden, im Urin zwölf Stunden», sagt Céline Sturm von der Opferschutzorganisation Weißer Ring. Laut Frankfurter Polizei werden solche Taten meist «zeitverzögert angezeigt». Dann sei eine Untersuchung nicht mehr möglich. Die Täter bleiben so unerkannt.
Häufig hätten Opfer angegeben, K.-o.-Tropfen bekommen zu haben, jedoch «deutet die festgestellte Alkoholisierung dann eher darauf hin, dass diese für die Ausfallerscheinung bzw. Erinnerungslücken verantwortlich sein dürften», ist die Erfahrung des Polizeipräsidiums in Frankfurt am Main. Opferverbände beklagen mitunter, die Polizei zeige nicht immer genug Sensibilität bei diesem Thema.
Für wie viele Frauen und Männer die Party ein schlimmes Ende genommen hat, lässt sich nicht sagen. «Die Datenlage ist sehr dünn», begründet Sturm, zuständig für Kriminalprävention. Das Polizeipräsidium München spricht für die Jahre 2018 bis 2021 jeweils von einer «niedrigen Anzahl polizeilicher Ermittlungsverfahren».
Die Berliner Polizei veröffentlichte jüngst eine Statistik zur Lage in der Hauptstadt. In der Corona-Pandemie gab es demnach weniger solcher Straftaten. Gingen die Ermittler 2019 noch 71 Fällen nach, waren es 2020 31 und im vergangenen Jahr 21. Erst vor wenigen Tagen sind bei einem Sommerfest der SPD-Bundestagsfraktion in Berlin mehrere Menschen mit der Droge attackiert worden, die meisten von ihnen Frauen.
Was sind das für Tropfen?
«Darunter verstehen wir ganz viele verschiedene Substanzen, teilweise bis zu 200, die als K.-o.-Tropfen eingesetzt werden», erläutert Céline Sturm. Dazu gehören etwa Ketamin, ein Narkosemittel aus der Tiermedizin, und GHB (Gamma-Hydroxybuttersäure), umgangssprachlich als Liquid Ecstasy bezeichnet. Die Mittel werden mitunter in geringer Dosis von Feiernden freiwillig als Partydroge in Clubs eingenommen.
Viele dieser Substanzen sind in Deutschland faktisch frei erhältlich. Nach Angaben des Bundesdrogenbeauftragten Burkhard Blienert sind andere verschreibungspflichtige Arzneimittel, teilweise fallen sie unter das Betäubungsmittelrecht. Aber eben nicht alle.
Blienert verweist auf den Stoff GHB, der aus Gamma-Butyrolacton (GBL) und 1,4-Butandiol (BDO) entsteht. Das seien Industriechemikalien, die in großen Mengen hergestellt, gehandelt und industriell verarbeitet werden. Beide fallen nicht unter das Gesetz zum Umgang mit Betäubungsmitteln. In der Vergangenheit gab es immer wieder Forderungen, den Stoff GBL in das Gesetz aufzunehmen.
Mehr Aufklärungsarbeit leisten
Der Weiße Ring sieht die Politik allerdings vielmehr in einem anderen Punkt in der Pflicht: «Wir müssen viel mehr Aufklärungsarbeit zu dem Thema leisten», fordert Sturm. So sollten bereits Lehrer bei ihrer Aus- und Weiterbildung für das Thema sensibilisiert werden. Es sollte auch mehr dazu geforscht werden.
Nicht wenige Opfer gehen nach einer Tat auch aus Scham nicht zur Polizei. «Man schämt sich so dafür. Hat man selbst einen Fehler gemacht?», fragte sich auch Alexandra Roth. Mit ihrer Initiative «NO! K.O.» will sie solche Ängste nehmen und Tipps geben: etwa Drinks in Clubs nicht unbeaufsichtigt lassen und aufeinander achtgeben. Sie rät zudem: «zusammen feiern und zusammen wieder nach Hause gehen».
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