Dampfen statt qualmen? Auf dem Weg zum Rauchverzicht kann der Umstieg von Zigaretten auf E-Zigaretten oder Tabakerhitzer ein sinnvoller Schritt sein. Das sagt Gefäßmediziner Prof. Martin Storck.
Im Interview erläutert er die Gründe und den wissenschaftlichen Forschungsstand dazu. Und er stellt klar: «Natürlich bleibt die komplette Rauchentwöhnung das Ziel.»
Herr Storck, welche Folgen hat Rauchen für die Gefäßgesundheit?
Martin Storck: Rauchen ist der wichtigste Risikofaktor für das Entstehen und das Fortschreiten der Arteriosklerose, mit den Folgen eines Schlaganfalles, Herzinfarktes oder einer Amputation – insbesondere bei Diabetikern.
Das Gefährliche am Rauchen ist die Tabakverbrennung, nicht etwa das Nikotin. Das birgt zwar ein Suchtpotenzial, führt aber eben nicht zur Krebserkrankung oder Arteriosklerose. Daher muss in Deutschland mehr getan werden, um die hohe Rate an Rauchern zu reduzieren. Hier sind sich alle medizinischen Fachgesellschaften einig.
Die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin, der Sie angehören, zählt E-Zigaretten und Tabakerhitzer zu etablierten Maßnahmen, wenn man nicht anders von der Zigarette loskommt. Warum?
Storck: In Übersichtsarbeiten der Organisation Cochrane, die sich für evidenzbasierte Gesundheitsversorgung einsetzt und verfügbare Literatur entsprechend bewertet, und in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass im Dampf von E-Zigaretten und Tabakerhitzern relevant weniger Schadstoffe enthalten sind als in Zigarettenrauch. Die Größenordnung liegt bei 90 bis 95 Prozent weniger. Diese toxikologischen Untersuchungen sind unstrittig und seriös durchgeführt, zum Beispiel vom Bundesamt für Risikobewertung.
Daher wäre ein hundertprozentiger Umstieg auf E-Zigaretten eine Option für Raucher, die ansonsten nicht vom Rauchen wegkommen. Das ist leider ohne psychologische und sozialmedizinische Unterstützung kaum zu erreichen.
Aus Sicht der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen eignen sich E-Zigaretten nicht wirklich zur Entwöhnung, weil auch sie ein Suchtmittel sind. Das heißt: Statt der klassischen Zigarette rauchen viele danach die E-Zigarette, die Nikotinabhängigkeit bleibt. Was sagen Sie dazu?
Storck: Tatsächlich ist die Nikotinabhängigkeit nicht das primäre Problem bei den multimorbiden Gefäßpatienten – also bei jenen, die mehrere Erkrankungen haben. Das Hauptproblem ist hier die Schädigung durch die Tabakverbrennung bei hohen Temperaturen.
Die Nikotinsucht bringt der Raucher mit, sie entsteht häufig schon im jugendlichen Alter. Sie ist aber eben nicht das Problem, das es aus gefäßmedizinischer Sicht zu bekämpfen gilt.
Ein schnelles Anfluten von Nikotin – wie beim Zigarettenrauchen – führt zu einer Belohnung in bestimmten Gehirnregionen. Deshalb muss sogar darauf geachtet werden, dass die verfügbaren Ersatzprodukte wie E-Zigaretten oder Tabakerhitzer zumindest in der Anfangsphase des Umstiegs auch genügend Nikotin abgeben. Damit kein Rückfall erfolgt.
Wenn Nikotin so gefährlich wäre, könnte man es nicht in der Apotheke als Pflaster oder etwa als Kaugummi oder Lutschtablette erhalten. Nikotin als Substanz führt zu eher kurzfristigen Gefäßverengungen, die aber reversibel, also rückgängig zu machen sind.
Sie und Ihre Fachgesellschaft sagen also, dass die Schäden für die Gesundheit bei einem Umstieg von Zigarette auf Tabakerhitzer oder E-Zigarette deutlich geringer sind. Können Sie die Effekte konkret beschreiben?
Storck: Wir verweisen hierzu auf die vorliegenden klinischen Studien, die vor allem aus England kommen. Natürlich sind langfristige Effekte eines Umstiegs nicht bekannt. Allerdings lohnt sich insbesondere auch bei Herz- und gefäßerkrankten Risikopatienten in jedem Lebensalter ein Rauchstopp.
Ein Beispiel sind Patienten mit der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, kurz PAVK. Hier konnte gezeigt werden, dass ihre Chance, ohne Amputationen zu leben, durch den Rauchverzicht günstig beeinflusst wird – mehr noch als durch teure Medikamente und Operationen.
Eine amerikanische Studie, die eine Gefahr hinsichtlich einer erhöhten Rate von Herzinfarkten – verursacht durch E-Zigaretten – beobachtet haben wollte, musste 2019 wegen methodischer Fehler zurückgezogen werden.
Am besten ist es natürlich, wenn man ohne Ersatzmittel etwa mithilfe einer Therapie von der Zigarette loskommt – das sagen Sie ja auch. Warum klappt das in der Praxis oft nicht?
Storck: Natürlich bleibt die komplette Rauchentwöhnung das Ziel. Viele Raucher haben zunächst gar nicht den Wunsch, aufzuhören. Nach teils jahrzehntelangem Rauchen ist es schwierig, von heute auf morgen das Rauchen komplett aufzugeben – etwa nach einem Herzinfarkt oder einer Lungenentzündung.
Hier ist ein Coaching erforderlich, nicht nur einmalig. Die ABC-Methode zur Raucherentwöhnung, die von Professor Daniel Kotz veröffentlicht wurde, sei hier angesprochen. Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bietet die Möglichkeit, sich mehrfach kostenlos beraten zu lassen.
Was halten Sie von anderen Ansätzen, zum Beispiel einer medikamentösen Nikotinersatztherapie?
Storck: Diese sollte laut Empfehlungen, zum Beispiel von Cochrane, gar nicht mehr weiter in Studien beforscht werden, weil die Evidenz schon ausreichend nachgewiesen sei. In den Apotheken sind ja viele Ersatzprodukte verfügbar. E-Zigaretten sind eine Alternative dazu.
In einer aktuellen Cochrane-Übersicht wird nach Analyse aller verfügbaren seriösen Studien sogar formuliert, dass die E-Zigarette besser geeignet ist als Nikotinersatzprodukte, um einen kompletten Rauchstopp zu erreichen. Das muss allerdings auch der Wunsch der Raucher sein. Das Ziel jeder Strategie sollte der Rauchstopp sein, der Weg über die E-Zigarette beinhaltet eine sofortige massive Risikoreduktion.
Eine große klinische Studie an mehreren Einrichtungen in Deutschland soll hier mehr Aufschluss bringen und die verschiedenen Verfahren zusammenführen. Mit Ergebnissen ist jedoch erst in einigen Jahren zu rechnen. Gehandelt werden muss aber schon jetzt. Jeden Tag versterben hierzulande schätzungsweise 300 Menschen an Spätfolgen des Rauchens.
Zur Person: Der Gefäßmediziner Prof. Martin Storck ist Direktor der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie am Städtischen Klinikum Karlsruhe. Er ist Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin. Storck war mehrmals als Experte bei Anhörungen im Deutschen Bundestag geladen, unter anderem zur Frage der Werbebeschränkung für Tabakprodukte.
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